Werke
krampfhaft meine Hände.
»Gewiß, mein liebes Kind; aber setz dich nun und bleib ein wenig!«
»Ja, Ohm, ich will nur meine Arbeit holen!« Und dann ging sie mit den Briefen aus der Tür; aber bald war sie zurück und setzte sich mit ihrer Näherei an meine Seite; du lieber Gott, ich sah wohl, daß es kleine Kinderjäckchen waren. Wir sprachen erst nicht; ich sah auf ihr liebes vergrämtes Angesicht, und sie saß wie grübelnd, aber ihre fleißigen Finger rührten sich dabei, als gehöreten sie nicht zu ihr.
»Ohm«, sagte sie endlich und atmete stark dazwischen, »hat mein Vater einen gewaltsamen Tod gehabt?«
»Ja, Kind; er ist ertrunken; hier in Hamburg, in einem von den Fleten; weißt du das denn nicht?«
Sie schüttelte den Kopf: »Nicht recht; Mutter spricht ja nicht davon. Ohm, sag mir: tat er das mit Willen?«
»Mit Willen, Anna? Was redst du denn? Er kam spät nachts nach Hause; an der Brücke, wo er vorüber mußte, ward gebaut, und mit den Laternen war es noch nicht wie heutzutage; da ist er fehlgetreten und verunglückt.«
Sie schwieg, aber ich sah, wie ihre Brust sich vor innerer Aufregung hob und wie sie heftiger ihre Nadel führte. »Ohm«, hub sie wieder an und ließ nun ihre Hände ruhn, »hat mein Vater auch von dem Schrecklichen getrunken, was du immer abends trinkst und – wo ich auch davon getrunken habe?«
Ich erschrak, aber ich antwortete scheinbar ruhig: »Das ist nicht schrecklich, Anna; das hat ja der Herrgott uns Seeleuten so recht zum Labsal gegeben! Hast du danach bei mir was Schreckliches gesehen?«
»Bei dir nicht, Ohm« – und sie sah mich mit ganz großen Augen an; »aber alle dürfen das nicht trinken: es bringt uns um den Verstand ; die Bösen haben dann Gewalt über uns.«
»Ja, Anna«, sagte ich, »das hat der Herrgott in der Welt so eingerichtet; wohl tut’s mit Maßen und weh im Übermaß; mein alter Hochbootsmann hatte sich in starkem Kaffee den Säuferwahnsinn auf den Hals getrunken. ›Kapitän‹, sagte er, als er den Atem wieder oben hatte; ›ich bin der nüchternste Mensch, von Euerem gebrannten Zeuge habe ich fast nimmer noch ein Glas getrunken, aber Kaffee, das ist ja ein Getränk für Kinder!‹« – Und ich erzählte weiter und sprach wie ein Prediger, aber nur aus Angst und um der Anna ihre bösen Fragen aus dem Kopf zu schaffen. Da läutete zum Glück die Haustürglocke, und sie mußte in den Laden.
Als sie wiederkam, war davon nicht mehr die Rede, und so hatte ich ihr heilig Vaterbild nicht zu beschmutzen brauchen.
Und endlich kam die Nacht, in der das Kind geboren wurde; ein Knabe, derselbe, der jetzt oben hier im Hause schläft. Es ist die einzige Geburt gewesen, der ich in meinem Leben so nahe beigewohnt, aber Freude war nicht dabei. Anna freilich war gesund geblieben, nur nähren konnte sie ihr Kind nicht selber. Wenn man es ihr aufs Deckbett brachte, sah sie es jammervoll aus ihren dunkeln Augen an, aber sie gab es kopfschüttelnd wieder fort, und ich sah nicht, daß sie es küßte oder nur sich zärtlich zu ihm niederbeugte. Sie lag in dem Wohnstübchen, und ihre Mutter ging seufzend aus und ein und mühte sich, das arme Kind aus einer Flasche trinken zu lehren; des Nachts nahm sie die Wiege mit in ihre Schlafkammer, welche, Sie wissen es ja, hinter dem Stübchen lag und durch eine Tür damit verbunden war.
Es mag am siebenten oder achten Tag gewesen sein, daß ich wieder abends mein Glas in der Gaststube des Kaiserhofes trank. Sie wissen, die Gelehrten müssen ja allzeit was Neues aushecken, und damals hatten sie es mit der Vererbung vor es war just ein solcher Artikel, den ich an diesem Abend im »Korrespondenten« las, und ich muß sagen, obschon es mir Phantastereien schienen, ich vertiefte mich immer mehr darin, konnte nicht davon los. »Dummes Zeug«, rief ich endlich laut, als es mir doch gar zu bunt wurde.
»Mein Gott, capitano!« hörte ich eine Stimme mir gegenüber; »Sie lesen ja heute über alle Maßen; was haben Sie denn da?«
Als ich aufblickte, saß der alte Doktor Snittger vor mir und nickte mir lachend zu.
»Ja freilich, Doktor«, sagte ich, »verrücktes Zeug, was der ›Korrespondent‹ uns heute auftischt!«
»Hab’s noch nicht gelesen«, sagte der Alte; »sind zuviel Lungenfieber in der Stadt jetzt.«
»Auch vererbte?« frug ich.
»Wie meinen Sie?«
»Lesen Sie es selbst«, sagte ich und reichte ihm das Blatt, »hier steht’s: alles ist vererblich jetzt, Gesundheit und Krankheit, Tugend und Laster; und wenn
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