Werke
er fort, und es rauschte über mir, als wenn ich in ein Meer versänke. Und dann hörte ich das Kind weinen, und meine Mutter fing an zu singen.«
»Das waren deine Träume, Anna«, sagte ich.
»Ja, vielleicht, Ohm; aber« – und sie sprach das fast unhörbar – »ich wär so gern bei meinem Vater!«
»Denk lieber an dein Kind!« sagte ich, »und laß Rick Geyers schlafen.«
Sie starrte mich geheimnisvoll an. »Das Kind, das ist eine Sünde«, sagte sie, »und darum ist mir auch die Brust für ihn vertrocknet. «
»Ei, dummes Zeug! Sieh ihn nur mutig an. Der Junge ist wie jeder andre unsres Herrgotts Kind! Laß ihn erst ein paar Jahr älter werden; ich will dir helfen, Anna, wir wollen was Tüchtiges aus ihm machen, einen flotten Steuermann, einen Kapitän! Und wenn er dann mit seinem Vollschiff von der ersten großen Reise heimkommt: wir beide stehn am Hafen er schwenkt den Hut – die Ankerkette rasselt – hurra für Kapitän... Ja, Kind, wie sollen wir ihn denn taufen? Ich denke doch wohl: Rick? Was meinst du zu Rick Geyers?«
Ein Seufzer unterbrach mich: »Ja, Ohm, und seine Mutter steht dann da und ist ein altes Mädchen!«
›Deine Schuld, deine Schuld!‹ schrie es wieder in mir, so laut und schaurig wie aus einem Nebelhorn; man hört’s und weiß in der grauen Finsternis nicht, woher es kommt. Da fuhr’s in meiner Not mir durch den Kopf, ich sagte: »Anna, ich weiß, ich bin nichts als dein alter Ohm, schon über Sechzig, und morgen mach ich mein Testament; was ich habe – es ist ein anständig Bürgerteil –, kommt dir und deinem Jungen zu; und willst du die paar Jahr noch meine Frau heißen – denn es bleibt trotzdem beim alten, Anna – aber ein altes Mädchen brauchst du nicht zu werden!«
Ich weiß nicht, Nachbar, es war vielleicht was ungeschlacht; ich wußte mir nur anders nicht zu helfen; es ist ja nun auch einerlei.
Aber Anna hatte sich strack emporgerichtet. »Nein!« schrie sie, »nein, das will ich nicht! Du bist so ehrenhaft und brav! Ach, Ohm« – und ich sah, wie sie in sich zusammenschauderte –, »du weißt es doch – die Schande ist so ansteckend!« Sie hatte krampfhaft meine Hand ergriffen und geküßt.
»Anna«, sagte ich, »ich kann dich hiezu nicht drängen, aber Schande ist nur unter den Menschen und verweht in einem guten Leben. Denk an dein Kind und daß ich nichts für mich will!«
– »Nein, Ohm, nie – nie!« Ihre Augen bewegten sich zitternd, sie hatte die Arme ausgestreckt und rang die schmalen Hände umeinander. »Aber – das andre, was du sagtest«, begann sie schüchtern wieder, »mein Kind, es wird zu leiden haben um seiner Mutter willen. Hilf ihm, Ohm! Kannst du es wirklich mir versprechen, mein Kind niemals, auch bei deinem Tode nicht zu vergessen?« Die großen Augen waren angstvoll auf mich gerichtet.
Da legte ich meine Hand auf ihr armes junges Haupt. »Niemals, Anna«, sagte ich, »sonst vergesse mich unser Herrgott in der letzten Stunde! Schon morgen soll dein Sohn mein Erbe sein.«
Wie mit einem Seufzer der Erlösung sank sie zurück in ihre Kissen: »Ich danke dir, mein geliebter Ohm! Und nun geh! Nun möcht ich schlafen!«
Ich stand noch eine kurze Weile und blickte auf ihr jetzt so blasses Angesicht, in welchem die Augen schon geschlossen waren. »Gute Nacht, liebe Anna!« sagte ich und küßte ihr die Stirn.
Sie schlug noch einmal ihre Augen zu mir auf und bewegte leis das Haupt; dann ging ich.
Als ich auf den Hausflur trat, geleitete die Mutter eben einen späten Käufer an die Tür. »Gute Nacht, Frau Geyers!« sagte ich und stieg hinauf nach meiner Stube.
Ich hörte die Haustür schließen, dann noch von nah und fern die Glocken aller Türme durcheinanderschlagen; innen und außen wurde es allmählich ruhig, und ich schlief; wie lange, weiß ich nicht. Aber mich weckte etwas; ich mußte erst völlig wach werden, bevor ich’s fassen konnte; der erste Dämmerschein fiel eben in die Stube. Endlich glaubte ich es zu wissen: die Kette vor unserer Haustür mußte herabgeglitten sein; aber wie? – Sie wurde jeden Abend über eine hohe Klammer aufgehakt. Ich lag noch und grübelte darüber, sogar an Diebstahl und Einbruch streiften meine Gedanken; da drang noch ein zweites Geräusch vom Flur herauf: es klirrte, aber es war ein leiser Klang dabei, als käme er von einer Glocke.
Rasch war ich aus dem Bett gestiegen und kleidete mich völlig an; dann nahm ich meinen Revolver aus der Schatulle und stieg leise in den Flur hinab. Es war
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