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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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einer der Sohn eines alten Diebes ist und stiehlt nun selber, so soll er dafür nur halb so lange ins Loch als andre ehrliche Spitzbuben, die es aber nicht von Vaters wegen sind!«
    »Ja so«, sagte der alte Herr, nachdem er einen Blick in die Zeitung geworfen hatte; »es sollte wohl so sein, aber so ist es bis jetzt noch nicht.«
    Ich sah ihn an: »Ist das Ihr Ernst, Herr Doktor?«
    »Ei freilich, Kapitän; den mitschuldigen Vorfahren müßte gerechterweise doch wenigstens ein Teil der Schuld zugerechnet werden, wenn auch die Strafe an ihnen nicht mehr vollziehbar oder schon vollzogen ist. Wissen Sie nicht, daß selten ein Trinker entsteht, ohne daß die Väter auch dazu gehörten? Diese Neigung ist vor allem erblich.«
    Ich wollte reden, aber er fuhr fort: »Ja, ja, ich weiß wohl, die Erziehung der Jugend, wenn sie mit ausdauernder Sorgfalt die Reizung dieses entsetzlichen Keimes zu verhindern weiß, kann bei dem einzelnen das Unheil vielleicht niederhalten; aber darin wird nur zu arg gesündigt. Die hübsche Anna in Ihrem Hause, das arme Mädchen, das jetzt mit einem Kinde liegt, sie hatte ja wohl nicht den Fehler ihres unglücklichen Vaters, wie das bei Frauen denn auch seltener ist; aber doch – was meinen Sie, das ihr fehlte vor nun dreiviertel Jahr, in jener Nacht, da Sie mich aus dem besten Schlaf aufklopften? – Ich will es Ihnen sagen, Kapitän – das schöne Mädchen war in jener Nacht sinnlos betrunken! – Wer weiß, ob nicht ihr Unglück...«
    Aber ich hörte schon nicht mehr, was der Doktor sprach, denn in mir redete es mit hundert Stimmen durcheinander; aber eine darunter war die stärkste. ›Deine Schuld, deine Schuld!‹ rief sie stets dazwischen. Und das war Rick Geyers’ Stimme, die ich gleich erkannte; und bald sah ich ihn vor mir in seiner schönen Jugendflottheit, die Bänder an seinem blanken Hute flatterten im Winde; bald aber mit dem gedunsenen Gesicht und den schweren Augen, die mich zornig ansahen. Dann wieder sah ich die Anna, das zehnjährige begehrliche Ding, wie sie voll Abscheu den heißen Trunk von sich sprudelte, zu dem ich so unbesonnen sie genötigt hatte; dann wieder, wie sie später mein halbes Glas mir vor der Nase wegschluckte. ›Deine Schuld, deine Schuld!‹ schrie die eine Stimme wieder. Ich sprang von meinem Stuhle auf. »Ja, ja!« rief ich; »aber ich will...« Ich besann mich; ich hatte das fast laut geschrien. Zum Glück war eben jetzt nur der verständige Doktor allein mit mir im Saale; seine Hand lag auf meinem Arm. »Was wollen Sie, Kapitän?« frug er ruhig.
    Ich setzte mich wieder. »Helfen will ich«, sagte ich, »soweit eines ehrlichen Menschen Kraft nur reichen kann!«
    »Das tun Sie! Ich habe ja den Vater auch gekannt – daß nur nicht zwei solcher Menschenkinder hier zugrunde gehen! Und wenn Sie meiner dazu bedürfen, wir sind ja Nachbarn!«
    Ich drückte ihm kräftig seine gute Hand: »Good bye, Doktor, ich werd es nicht vergessen.« Dann stand ich auf und ging. Den Kopf voll guter Werke, trabte ich über die Straße; ich begann in Gedanken schon an meinem Testament zu arbeiten.
    Als ich zu Anna in die Stube trat, lag sie mit weitgestreckten Armen und sah starr auf die ineinandergeschlungenen Hände und das leise Bewegen ihrer Finger, als sei der Lebensknoten dort zu lösen; wie es Menschen machen, die ihren Kurs nicht mehr zu steuern wissen. Ich setzte mich zu ihr auf die Bettkante. »Anna«, sagte ich, »du siehst so traurig aus; was machst du denn da?«
    Sie blickte langsam zu mir auf. »Jetzt?« frug sie, und als ich nickte: »Jetzt denke ich nur.«
    »Woran denn denkst du?«
    »An meinen Vater, Ohm.«
    »Nicht an dein Kind?«
    »Mein Vater – das ist sanfter. – Ohm, bitte«, sagte sie dann, löste die Hände auseinander und wies nach der Schatulle am Fenster, in deren Klappe ein Schlüssel steckte; »ich habe ja noch die Briefe, ich darf sie auch wohl noch behalten; die oberste Schublade! Wenn du so gut sein willst, so gib sie mir!«
    Ich reichte ihr die Briefe; und sie packte sie unter ihr Kissen und legte sich dann zur Seite und mit der Wange darauf. »Ohm«, sagte sie, »wie kommt das, ich sehe jetzt wieder ganz deutlich sein Gesicht. – Vielleicht – er war so gut, er hat wohl Mitleid ...« Sie warf sich unruhig im Bett empor: »Ach, Ohm, ich darf nicht denken, nicht eine Spanne weit! Aber heute nacht, da hört ich seine Stimme, so sanft, als wollte sie mich an sich ziehen; du kannst dir das nicht denken! Nur als ich zu ihm wollte, war

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