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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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aufrecht und geschäftig: sie wickelte das Kind und sang dazu ihr »Eiapopeia«.
    »Das ist recht, Frau Geyers«, sagte ich; »aber Ihr könnt jetzt alle Eure Tugend brauchen!«
    Sie fuhr ein wenig zusammen, denn sie hatte meinen Eintritt nicht bemerkt. »Ja, Ohm Riew’«, sagte sie, »wenn wir unsere Sündenschuld abziehen, so müssen wir mit dem Rest schon fertig werden.« Und das Weib, by Jove, Herr Nachbar, sah mich an wie ein Engel der Geduld; und mit der Trauer in meinem Herzen, die ich noch auf sie abladen sollte, ich hätt ihr alles abbitten mögen, was ich sonst über sie geredet und gelacht hatte.
    Als ich meine Todesbotschaft ihr verkündete, legte sie das Kind mit zitternden Händen in die Wiege, die vor ihrem Bette stand. »Gott steh mir armem schwachem Menschen bei!« Das war alles, was sie sagte; und als sie Anstalt machte, aus dem Bett aufzustehen, ließ ich sie allein und ging auf mein Zimmer, wo ich die Vierländerin schier vergessen hatte.
    Da stand sie mit ihrem leeren Korbe und ihrem Rundhut mitten auf der Diele ; die Maililien aber hatte sie alle in meine große Waschschale geordnet und auf den Tisch gestellt. »Bist du schon fertig?« frug ich.
    »Ja, Herr; und ich dank auch.«
    Und als ich ihr zwei Taler auf die Hand legte, lachte das ganze runde Gesichtlein.
    »Wie heißt du?« frug ich noch, denn mir war, als dürfte ich das Kind nicht lassen, als trüge sie das letzte Lebewohl von Anna mit sich fort.
    »Trienke!« sagte sie fröhlich.
    »Und wo hast du denn deinen Stand?«
    »Am Jungfernstieg, Neuen Walls Ecke.«
    Und damit nickte sie und ging; aus dem Fenster sah ich noch, wie mutig sie in das Leben hinauslief.
    Ich habe später noch manchen Strauß von ihr gekauft, und Trienke suchte immer das Schönste für mich aus, rote Nelken und Rosen, da es Sommer wurde, im Herbste weiße und violette Astern; sie wußte wohl, für welches Grab ich mir die Blumen kaufte.
    – – Schon am andern Tage aber lag unsere schöne Anna weiß und kalt in ihrem Sarge, da, wo sie gestern noch im warmen Bett geschlafen hatte, und um sie war alle Sorge aus. Die Mutter hatte das feuchte und verwirrte Haarwerk ihr getrocknet, und die langen dunklen Flechten lagen auf den feinen Linnen, worin wir sie gehüllt hatten ; schon als sie noch Kind war, konnte die Wäsche ihr immer nicht fein und sauber genug sein ; das Beste aus dem Laden hatten wir ihr gegeben. So lag sie denn noch einmal in full dress, Maiglöckchen um ihr schönes stilles Angesicht und in ihren blassen Händen. In der Nacht habe ich die Wache bei ihr gehalten; ich hatte ihre Hand gefaßt, bis mir die Todeskälte in den Arm hinaufstieg, aber sie drückte meine Hand nicht mehr; die geschlossenen Augen, auf die ich lange Stunden sah, sie hatten sich rasch am Leben satt getrunken.«
    Der Kapitän schwieg, langte nach seinem halbvollen Glase und trank es in einem Zuge aus. »Es ist kalt geworden, Nachbar«, sagte er, »und meine Geschichte ist aus. Wir wollen noch eins brauen und von anderen Dingen reden!«
    »Aber Ihr wolltet mir noch sagen –«
    »Was denn? Nun ja, seit jener Nacht trinke ich mein Glas mir noch, wie wir es heute abend tun; und – ja, mein alter Ohm, zu dem ich damals mit der Anna wollte, der starb, ich war sein Erbe, und da die Anna nicht mehr zu haben war, so zog ich, nachdem wir die Hamburger Baracke verkauft hatten, mit ihrem Jungen und der Alten hier hinaus, baute aber für das alte Haus, das nicht mehr stehen konnte, erst ein neues. Die Großmutter, Sie wissen es, die haben wir neulich hier zur Ruh gebracht; was aber aus dem jungen Rick Geyers noch werden soll – –«
    »Nun, Kapitän, das beraten wir noch mitsammen! Euer Testament ist hoffentlich in Ordnung?«
    »Mit allen Klammern der Gesetze.«
    Ich nickte. »Aber es ist spät; wir wollen heute nicht mehr trinken! Gute Nacht, Kapitän; das müßte doch mit allen Teufeln zugehen, wenn zwei Kerle wie wir nicht einen solchen Bengel nach unserm Kompaß steuern könnten!«
    Ein dankbarer Händedruck des Alten, dann war ich auf dem Heimweg.
     
    Seit dem hier Erzählten sind fast zehn Jahre vergangen, und es ist wieder einmal Herbst; aber erst im Anfang des September, und die Laubhölzer lassen nur noch hie und da ein gelbes Blatt zur Erde fallen.
    Mein alter Kapitän Riewe ist noch ein munterer Greis, noch jetzt ein musterhafter Gärtner: in seinem Obstviertel stehen fast lauter junge Bäume; manches Pfropfreis haben wir getauscht und mancher trefflichen, fast vergessenen Art aus

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