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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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dann schritt er zuerst schrägüber zum Meister Bartscher und, als er bald glattrasiert herauskam, mit etwas langsameren Schritten durch die Krämerstraße nach der Schiffbrücke und dort in das Haus des alten Hafenmeisters Peters, mit dessen jüngerem Bruder er einst, wie gebräuchlich, die unterste Klasse der Gelehrtenschule besucht hatte. Als er in das Zimmer trat – die Nachmittagssonne schien herein, und der Kanarienvogel, der unter den Blumen am Fenster stand, sang eben aus allen Kräften –, erhoben sich drei Jungfrauen mit ihrem Nähzeug von den Stühlen; das waren die Töchter des Hafenmeisters: Mine, Stine und Line, von vierzig, neununddreißig und siebenunddreißig Jahren; sie waren alle brave Mädchen, aber die braune Line war doch die bravste: sanft, wirtschaftlich und von gutem Menschenverstande, dabei ein wenig schelmisch. Und der Meister Daniel schaute sie an, und die Braune lächelte dabei recht hübsch; »Mamsell Linchen«, sagte Daniel, »könnte ich ein Wort mit Ihrem Vater reden?« Und Linchen wurde dunkelrot und schoß hinaus, um ihren Vater aufzusuchen.
    Eine Stunde später – im Böttcherhause hatte der Gesell die Jungfer Salome schon zweimal nach dem Meister gefragt – trat dieser durch die Haustür, als die Jungfer Salome eben aus der Küche in den Flur kam. Er winkte ihr schweigend mit gekrümmtem Finger in die Wohnstube. Als sie dort waren, hob der kleine Meister seinen hohen Hut vom Haupte.
    »So«, sagte er, »Schwester, nun sprich nur, sprich nur weiter!«
    Aber die Schwester sah ihn ganz verwundert an. »Was hast du, Daniel?« frug sie; »an jedem Haar hängt dir ein Schweißtropf, und ist doch kalt Novemberwetter; und deine Augen – – warum freust du dich so? Haben wir das Große Los gewonnen?«
    »Ja, Salome, so etwas von der Art; oder vielleicht, ich gewinne es noch später, denn Line Peters ist, denk ich, eine sichere Nummer!«
    »Was hast du mit Line Peters, Daniel?«
    »Ruf erst den Gesellen!« sagte Daniel.
    Und als der Gesell gekommen, da wurde es in der Familie offenbart, Meister Daniel und Line Peters wollten ein Ehepaar werden; und die beiden alten Geschwister fielen sich um den Hals und weinten vor Freuden über den jungen Bräutigam. »Und nun sprich nur weiter, Salome!« sagte dieser.
    »Ich hab ja weiter nichts zu sprechen, Daniel«, erwiderte die Alte lachend; »ich will ins Stift; setz dich nun hin und schreib mir die Bittschrift an die Vorsteher! Du bist nun gut beraten!« – – Und noch war es nicht Weihnachten, da saß die alte Schwester in Frauke Michels’ Stube in St. Jürgen und Line Peters als Frau Meisterin hinter den Blumentöpfen in dem Böttcherhause. Die erste Tat aber, welche Meister Daniel als junger Ehemann in den Flitterwochen vollbrachte, war, daß er mit einem Eimer voll Mörtel, die Kelle in der Hand, auf einer Leiter zu dem Totenbild über seiner Haustür hinanstieg und eine glatte Mörtelfläche sanft darüberlegte. ›Das paßt nicht mehr!‹ sagte er bei sich selber; ›nein, es paßt nicht mehr!‹, und damit machte er den letzten Strich daran. Dann stieg er von seiner Leiter; und nach acht Tagen, da es wohl getrocknet war, mußte der Gesell den alten Maler Hermes holen, der die schönen Nelken und Vergißmeinnicht für die Stammbücher machte; nun stieg dieser auf die Leiter und malte die schönste rote Provinzrose mit zwei grünen Blättern auf die graue Fläche. »Schön«, sagte Meister Daniel, der betrachtend in seinem Schurzfell neben der Leiter stand; »dann nun noch ein kleines Knöspchen dabei, aber nicht zu groß!« Und als auch das geschehen war, da trabte er in das Haus und holte seine kleine schmucke Frau. »Nun guck einmal!« sagte er und wies auf das neue Kunstwerk, »und weißt du, wie die Rose heißt?« Das wußte die junge Frau nicht; da sprach er: »Die Roseheißt Line Basch!« – »Ach was!« rief sie und lief ganz rot ins Haus zurück, und Meister Daniel freute sich und lief ihr nach.
    Und es dauerte gar nicht so lange, da hatte Meister Daniel zu der Rose auch schon die Rosenknospe unter seinem Dach, und das war ein kleiner Bube, der immer größer wurde und aus dem allmählich ein ganz verteufelter Junge aufstand. Noch hatte er seinen sechsten Geburtstag nicht gefeiert, als Fritz Basch schon in der ganzen Straße bekannt war; so gern seine Mutter ihn hochdeutsch aufziehen wollte, am liebsten sprach er doch Plattdeutsch, vorzüglich mit den Tieren, die er alle in ihren schönen alten Versen anzusingen wußte. Fand

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