Werke
aufgehoben, und wenn er auch aus der Werkstatt hatte herzuspringen müssen! Auch jetzt lief er in die Küche, es war ihm wie ein heiliger Spuk. Als aber die Katze in der offenen Tür an ihm vorbeigesprungen war und er die Zange leise wieder an ihre Stelle gelegt hatte, setzte er sich auf den leeren Küchenstuhl und starrte bald nach dem Herd, bald nach dem Küchenschranke, zwischen denen sie sich einst geschäftig hin und her bewegt hatte; aber es blieb alles still; nur ein Sperlingspaar, das sich draußen miteinander haschte, rutschte an den kleinen Fensterscheiben herunter und flog dann kreischend weiter.
Als Meister Daniel in einer halben Stunde noch nicht wieder in der Werkstatt war, ging der Gesell in die Küche und legte sacht die Hand auf seine Schulter: »Meister!«
»Ja, ja, Marten.« – Dann gingen sie miteinander in die Werkstatt, und Meister Daniel nahm wieder sein Handwerkszeug und machte sich schweigend an die Arbeit.
Erst wenn nach elf Uhr die Glocke der Straßentür schellte und Fritz, aus der Schule kommend, durch den engen Flur nach dem Pesel stürzte, kam wieder Leben in das Haus und in den alten Meister. Der Gesell stand dann am Herd, um die kleine Mahlzeit zu bereiten; Vater und Sohn aber gingen in den Garten und zu Fritzens Beeten. War hie und da eine Knospe an einer Blume aufgegangen, dann grub er sie unbarmherzig aus, und am Feierabend ging er mit seinem Vater nach dem Kirchhof und pflanzte sie auf Mutters Grab. »Sie sieht es doch, Vater?« frug er dann. Der Alte nickte: »Das hoffen wir, mein liebes Kind.«
Aber die Welt war so voll andern Dingen, und viele davon waren so vergnüglich: Hunde und Katzen, Marmel und Haselnüsse, Pflaumen und Kirschen; der Junge konnte doch nicht immer an seine tote Mutter denken. Einmal in der Dämmerstunde, da er mit seinem Vater im Garten unter dem Birnbaum saß, sagte er, nachdem sie eine Zeitlang nicht gesprochen hatten: »Vater!«
»Was meinst du, Fritz?«
»Ich glaub«, sagte er leise – denn es war die Frucht seines langen Nachdenkens – »ich glaub, es ist doch gut, daß Mutter mit Schwester in den Himmel gegangen ist!«
»Wie meinst du das, Fritz?« frug Meister Daniel.
»Ja, Vater, sie war so furchtbar klein noch; sie wär wohl bange vor dem lieben Gott geworden!«
»Nein, Kind, vor dem lieben Gott wird niemand bange, nur die Bösen. Ich, Fritz, ich denke, es wär doch schöner, wenn wir sie behalten hätten, dann wüßtest du auch noch, wie weich Mutterhände sind!«
Aber Fritz sprang von der Bank und stellte sich strack und mit geballten Fäustlein vor seinen Vater hin. »Ja, Vater«, rief er, »schöner wäre es wohl; aber ich brauch keine Mutter mehr, ich bin ein Junge.«
Und Meister Daniel betrachtete etwas ängstlich seinen Jungen, der schon so früh für sich selber stehen wollte.
Allmählich war die Zeit vergangen, und Fritz hatte bald sein dreizehntes Jahr erreicht. Er war ein leidlich gewachsener Junge, trug einen kurzen blauen Tuchrock, manchesterne Hosen und eine große runde Tellermütze, wie sie damals unter den Jungen Mode waren, und wanderte vor- und nachmittags, wie einst sein Vater, mit einem Packen Bücher in die unterste Klasse der Gelehrtenschule. In Geographie und Rechnen war er bald der Meister; auch in den andern Fächern konnte er gewaltig lernen, das heißt, wenn er mochte; aber er mochte nur nicht immer, und im Lateinischen wollte er mit mensa und amo nichts zu tun haben. »Was brauch ich Latein!« sagte er. »Wenn ich konfirmiert bin, komm ich in Vaters Werkstatt, und die Faßbinderei geht auch auf deutsch, am besten auf plattdeutsch!«
Es war aber nicht das allein: er hatte, gleich seinen Kameraden, eine knabenhafte Nichtachtung gegen den alten Kollaborator, der doch in der ganzen Stadt für ein »höchst gelehrtes Haus« galt; aber dieses schöne Wissen ging über den Kopf der dummen Jungen weg, und in den Dingen des frischen Lebens, worin sie die Meister waren, war er zeitlebens ein Kind geblieben.
Wenn morgens bei seinem Eintritt die Jungen mit allerlei Possen auf ihre Plätze gekrochen und gesprungen waren, pflegte der etwas ärgerliche Herr seinen hageren Hals vorzustrecken und, in der einen Hand das Buch, mit der andern und seinem kahlen Kopf ihre Sprünge nachzuäffen. »Ei, ihr Knaben«, sagte er dann wohl, »ihr seid ja lustig wie die Galgenvögel! Wen wollet ihr denn heute rupfen?«
»Hol dich der Henker!« murmelte Fritz oben auf seinem Platze, und: »Hol dich der Henker! Hol dich der
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