Werke
traurig schüttelte er den Kopf: seine Rose lag ja längst im Grabe, und die Knospe war als großer wehrhafter Bengel in die Welt gegangen.
»Paßt nicht mehr!« sprach er leise vor sich hin und ging wieder in die Werkstatt. Mitunter lief er auch in den Garten, als könne er dort sich frisches Leben holen; wenn er aber an seines Jungen Blumenbeete kam, die jetzt ganz verunkrautet lagen, dann stand er lange, riß ein paarmal eine Handvoll Nesseln aus und sah dann, daß das Blumenbeet doch nicht wiederkam.
Aber es sollte noch stiller um ihn werden. Ein großes Sterben, ein Typhus, wie die Ärzte sagten, fiel auf die Stadt. Die ersten, welche zum Kirchhofe hinausgetragen wurden, waren der Kollaborator und seine noch leidlich junge Frau; seine beiden Kinder, die kleine Magdalena und ihr etwas älterer Bruder, ein heimtückischer, schieläugiger Bursche, kamen zu ihrer Großmutter, einer alten gelähmten Pastorswitwe, deren Geschichten von gläsernen Bergen und verwünschten Prinzen dem Lenchen besser behagten als die antiken Lebensregeln ihres ärgerlichen Vaters. Zum Unglück Meister Daniels aber war gleich danach auch sein alter Brauer Petersen gestorben, und die Witwe hatte den Mut zur Fortsetzung des Geschäfts verloren. So wurden Arbeit und Verdienst noch kleiner, und der alte Marten mußte auf seines Meisters Drängen sich einen Platz in der neuen Brauerei verschaffen, wo dem Böttcher ein Geselle nötig wurde.
Daniel hatte das alles eben an seinen Sohn geschrieben, ging dann durch die leeren Räume seines schmalen Hauses, stellte in der Werkstatt Dauben und Hölzer gegen die Wände und stand endlich vor einem Fenster der Wohnstube, mit wirren Gedanken in den hellen Februartag hinausstarrend. Von den Menschen, die dann und wann vorübergingen, sahen seine Augen nichts; er hatte seine blaue Zipfelmütze in der Hand und fuhr sich von Zeit zu Zeit in seine Haare. Ja, er wollte jetzt ganz allein in seinem Hause bleiben; er war ein ordentlicher Wirt gewesen; die Zinsen von ein paar ersparten Kapitalien und der Verdienst von seiner noch verbliebenen kleinen Kundschaft würden für ihn schon reichen! Er begann zu rechnen, wieder und wieder, aber das Fazit blieb dasselbe. Es schoß ihm heiß zu Kopfe; er hatte gedacht, es mache doch ein Sümmchen mehr; und wenn er für Not und Krankheit noch etwas hinter der Hand behalten wollte?. . . Da fiel es wie ein Strahl in die dunkle Kammer seines Kopfes, er hatte ja ein ganz leeres Haus; was brauchte er jetzt noch die Wohnstube und die Kammer, die dahinter lag! Eine Mieterin, eine stille alte Person, das wär’s; dann hätte er genug! Er selber zöge nach oben hinauf in die Giebelkammer seines Fritz; nur ein kleiner Kochofen müßte dort noch gesetzt werden, dann könnte er sich selber seinen Mittag machen!
Eine trübe Art Zufriedenheit kam über Meister Daniel, und er hörte nun auch, daß am andern Fenster der Dompfaff flötete:
Üb immer Treu und Redlichkeit,
Bis an dein – – –
»Fiu!« machte der Vogel, und der alte Mann nickte. Ja, so weit hatte Fritz es ihm noch beigebracht; und nun begann das Tier sein Stück von neuem. Als Daniel wieder durch das Fenster blickte, vor dem schon längst keine Rosen und Geranien mehr grünten, sah er draußen eine Rosenknospe, ein acht- oder neunjähriges Mädchen mit einem sanften Gesichtlein und ein Paar blauen Augen, mit denen sie, andächtig lauschend, nach dem Vogel hinaufsah; denn sie stand mit einem älteren Knaben dicht unter dem Fenster. Der Junge aber schielte und sah bös und häßlich aus und schien indessen seine Marmel in der Tasche nachzuzählen. Da zog das Mädchen ihr rotes Händchen aus dem Muff, und ihn zu sich ziehend, wies sie mit dem Finger nach dem Vogelbauer. Aber Meister Daniel, den die Kinder nicht zu bemerken schienen, erschrak fast; denn wie eine Katze, die nach einer Beute springt, fuhr der Junge mit einem Schrei empor, als wolle er den schönen Vogel greifen. Unwillkürlich klopfte der Meister an die Scheiben und drohte mit der Faust; da machte der Bube ihm ein Schelmgesicht und rannte davon; das blonde Dirnlein aber stand, als könne sie vor Schreck nicht von der Stelle.
Ein Lächeln zog über des guten Meisters Antlitz, und er winkte dem Kinde, daß es zu ihm kommen solle; da sie aber keinen Fuß rührte, ging er zu ihr auf die Gasse. »Komm mit mir in die Stube!« sagte er, ihre Hand fassend; »da kannst du dir in der Wärme den Vogel besehen!«
Als sie drinnen waren, nahm er das Bauer
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