Werke
von der Wand und stellte es vor ihr auf den Tisch; aber der Dompfaff wetzte nur den Schnabel und sah sie mit seinen schwarzen Augen an.
Sie tat einen tiefen Atemzug. »Was ist das für ein Vogel?« frug sie leise.
»Das ist ein Dompfaff!« erwiderte der Meister.
»Ein Dompfaff?«, und sie hielt lange den kleinen Zeigefinger an die Lippen. »Ist er denn verzaubert?«
»Was denn? Verzaubert?« frug der Alte, und sie nickte mit ihren großen Augen.
»Warum denn verzaubert?« frug er nochmals.
»Er flötet ja wie ein Junge!«
»Wart mal«, sagte der Meister, dem diese Frage wie aus einer andern Welt kam; »nein, so was nicht! Nur, sie sagen, daß er ein dummer Vogel sei; aber, Kind, er ist gewaltig klug, und darum kann er auch flöten.«
»Darum?« wiederholte das Kind; und beide verfielen nun in tiefes Sinnen über diesen wunderlichen Fall. »Sag einmal«, sprach Meister Daniel dann, nachdem er eine Weile in das feine Gesichtlein geschaut hatte, »bist du nicht die kleine Magdalena, von der mein Fritz mir oft erzählt hat?«
Sie sah ihn fragend an. »Wir sind dem Kollaborator seine«, sagte sie; »aber unser Vater, auch Mutter, ist gestorben.«
»Ja, ja, ich weiß; arme Kinder!« sagte er und strich mit seiner harten Hand ihr sanft die goldblonden Härchen aus dem Gesichtlein, das bei den letzten Worten sich zum Weinen verzogen hatte. »War denn das dein Bruder, den du bei dir hattest?«
Sie nickte. »Wir sind beide bei unserer Großmutter, aber die kann gar nicht von ihrem Lehnstuhl auf!«
»Das ist nicht gut für deinen Bruder«, sagte der Meister ein wenig strenge. »Wie heißt er denn?«
»Tiberius.«
»Was für was?« frug er, und das Kind wiederholte das Wort.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ist denn das ein christlicher Name? Hat unser Pastor ihn so getauft?«
»Ich weiß nicht«, sagte die Kleine halb gedankenlos; denn der Dompfaff begann plötzlich wieder seine Melodie, und sie hatte für nichts anderes Aug’ und Ohren. Als er aufgehört hatte, wandte sie ihre leuchtenden Augen dem Meister zu. »Ich muß nun nach Hause«, sagte sie leise; »ich danke auch vielmal!«
Er nahm ihre beiden Händchen und sah sie zärtlich an: »Willst du auch wohl einmal wiederkommen?«
Und nach kleiner Bedenkzeit nickte sie so bedeutsam, als sollte es ein Schwur sein. Dann brachte er sie an die Haustür und sah ihr nach, wie sie bedächtig die Straße hinaufging. Als er danach wieder in sein Zimmer trat, war ihm, als sei hier inmittelst ein Lichtlein ausgetan. Aber der Dompfaff hub wieder seine Melodie an. »Fritz! Min Fritz!« rief der Alte und lehnte sich zitternd an den Türpfosten.
Als der Mai ins Land gekommen war, saß schon die Mieterin unten in der Wohnstube, ein zierliches, etwa funfzigjähriges Frauenzimmer. Riekchen Therebinte hieß sie und lebte von einem Sümmchen Erbzinsen und einem kleinen Jahrgehalt, den ihr eine zwanzigjährige Kammerjungfernschaft bei einer gräflichen Gutsbesitzerin eingetragen hatte; wenn Bälle oder andere Festlichkeiten in der Stadt waren, kammerjungferte sie auch jetzt noch bei den Töchtern der Beamten oder vornehmeren Bürger und hatte dadurch noch eine hübsche Extra-Einnahme. Sie war klein und mager, und wenn sie aus einer Tür ein paar Stufen hinabging, so war’s, als wenn ein Vogel heraushüpfte; »sie ist ein hüpfendes Gerippchen«, hatte einmal ein kleines boshaftes Mädchen von ihr gesagt. Sie hatte nur ein winziges Stumpfnäschen, aber eine weitläufige Stirn darüber, daher sie denn auch, wenn die Schönheit eines jungen Mädchens vor ihr gelobt wurde, selten, wiewohl etwas zaghaft, zu bemerken unterließ: »Ja, hübsch, recht hübsch! Aber die Stirn, ist die nicht etwas unbedeutend?«
Sie wurde dann meistens ausgelacht, und sie selber lachte mit, denn Neid und Bosheit waren nicht dahinter; sie wollte nur in betreff der Schönheit sich doch auch ein wenig in Erinnerung bringen. Die niedrige Stirn ihres Mietsherrn pflegte sie stets voll wahren Mitleids zu betrachten und erwähnte ihrer niemals gegen andere.
Oben in der Giebelstube hing der Dompfaff am Fenster, und in der Ecke stand der Ofen, auf dem Meister Daniel seine Kartoffeln und sein Stückchen Sonntagsfleisch kochte; er hatte seinen einsamen Haushalt eingerichtet. Wenn er vormittags seine paar Stunden in der Böttcherwerkstatt gearbeitet oder in seinem Garten gegraben hatte, den er später fast ganz mit Kartoffeln bepflanzte, dann saß er oben mit aufgestütztem Arm an einem Tische und las in der
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