Werke
kochenden Sonnenhitze feucht zu sein von dem fortdauernden Mangel des Lichtes. In der einen Ecke stand ein alter dürftig belaubter Holunderbusch, auf einem seiner Zweige saß, in sich zusammengekrochen, eine Dohle und beschäftigte sich damit, die Augen bald zu schließen, bald wieder aufzumachen. Ich machte meinen Freund darauf aufmerksam.
»Störe sie nicht«, sagte er; »sie ist satt und will nun schlafen.« Dann tat er einen Schritt zur Tür, als wolle er den daneben hängenden Klingelzug ergreifen. »Du willst doch etwas trinken?« frug er.
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn du dessen nicht bedarfst?«
»Ich nicht«, erwiderte er hastig und warf sich auf das harte Sofa; »und nun setze dich, Hans!«
Ich drückte mich neben ihm in die andere Ecke, aber er begann noch nicht. »Ich weiß nicht recht«, sagte er, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, »wo ich mein schweres Bekenntnis ansetzen soll, nicht recht, wie früh das Leid begonnen hat.«
– »Bist du so zweifelhaft geworden, Franz?«
»Darüber, mein Freund«, entgegnete er, »magst du später urteilen; aber da du alles wissen sollst, so muß ich weit zurück, bis in meine letzte Primanerzeit.«
»Du bist als Student einmal mehrere Tage mit mir in meinem elterlichen Hause gewesen; der Örtlichkeiten hinter dem mächtigen alten Wohngebäude wirst du dich wohl noch kaum entsinnen. Wenn man aus der Hoftür trat, lag rechts zunächst ein hoher Flügel des Hauses, dann Stallräume und ein Aufgang zum Heu-und Kornboden; zur Linken zog sich der höher belegene, mit niedriger Mauer und darauf befindlichem Stakete eingefriedigte Garten entlang; hohe Obstbäume reckten ihre Zweige über den darunter liegenden Steinhof, so daß ich mir als Knabe, wie oft, morgens die vom Wind herabgeschüttelten und auf den Steinen geplatzten Gravensteiner sammelte.
Verzeih mir, Hans, ich vergesse mich; aber es ist mein Vaterhaus, und ein Brand hat später das meiste davon zerstört, damals aber stand alles, als sei es immer dort gewesen und müsse immerfort so bleiben. Was zwischen dem Garten und den Baulichkeiten zur Rechten die beiden Seiten des Hofes schloß, war neben dem ersteren der Eingang zu einer unendlichen Rummelei von seit Jahrzehnten verödeten Fabrikgebäuden mit finsteren Kellern, Kammern voll Spinngeweben mit kleinen Scheiben in den klappernden Fenstern und unzähligen, sich übersteigenden Böden, über welche wir einmal, mit Gartenstöcken bewaffnet, den Fabrikkobold verfolgten, der uns, wie starr behauptet wurde, mit seiner Zipfelmütze aus einer Dachöffnung angegrinst hatte. Dann folgte das geräumige Waschhaus, durch das man in einen gleichfalls großen abgelegenen Hühnerhof gelangte, der von der Hinterseite der stillen Fabrikgebäude und einiger Nachbarspeicher rings umschlossen war, übrigens außer dem gewöhnlichen Federvieh von mir mit Meerschweinen und Kaninchen, gezähmten Möwen und Bruushühnern, auch wohl mit gefangenen Ratten und Feldmäusen und anderem unheimlichen Geziefer bevölkert zu werden pflegte; nach der Schulzeit war das meine liebste Gesellschaft.
Damit sind die Räume meiner Knabenfreude zu Ende; nur noch der letzte in der Ecke gegen die Heubodentreppe ist zu erwähnen. Wenn man eintrat, war zunächst eine Kammer für Pferdegeschirr und dergleichen, nebst andern kleinen Gelassen; dann aber rechts hinter einer leeren Türöffnung befand sich ein Raum, zur Bergung des Torfes, von ungewöhnlicher Höhe und Flächengröße. Selbst bei Tage herrschte hier meist tiefe Dämmerung, denn nicht allein, daß alle Wände von Torfstaub geschwärzt waren, es war auch nur eine einzige Fensteröffnung hier, aber in solcher Höhe, daß ich darunter mehrere alte Kisten aufeinandergepackt hatte, um dadurch in den darunterliegenden Hühnerhof hinabblicken zu können. Und das geschah nicht selten; nicht nur wenn am Tage Hühner und Kaninchen krächzend und schnubbernd gegeneinanderflogen, sondern auch gegen Abend, wenn der Hof leer und schon alles an seinem Nachtort war, wenn nur die Fledermäuse über den Hof flogen und ich meine Mäuse in ihren Kästen an der Mauer knuspern hörte. Manch halbes Stündchen, und auch wohl länger, bin ich so dort gestanden, bis die Nacht herabfiel und mir Beine machte, daß ich in das helle Haus zurückkam.
Von jener Fensterhöhle aus – denn ein Fenster war nicht mehr darin – habe ich ein Gesicht gehabt, das, wie ich mir noch heute nicht verreden kann, mein ganzes späteres Leben bestimmt hat; nur ein
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