Werke
zaghaft, ich war mir bewußt, das Meinige gelernt zu haben; ich vertraute mir, ich war von vornherein zuversichtlich. Auf der Universität hatte mir das bei vielen den Ruf des Hochmuts eingetragen; jetzt erwarb ich dadurch den eines tüchtigen Arztes, der am Krankenbett nicht erst zu suchen und bei seiner Heimkehr erst in seinen Kompendien nachzulesen brauche. Was, recht besehen, ein Frevel in mir war, das brachte mich hier zu Ehren: an Leichnamen hatte ich den innern Menschen kennengelernt, so daß mir alles klar vor Augen lag, und wie mit solchen rechnete ich mit den Lebendigen; was war da Großes zu bedenken!
Bald mußte ich mir die schwarze Doktorkutsche, bald genug einen Assistenzarzt zulegen; ich wurde der erste Arzt der Stadt und bin es vielleicht auch jetzt noch.
Unter solchen Umständen konnte von einer Teilnahme an geselligem Verkehr nicht viel die Rede sein; nur das Haus eines früheren Patienten, eines Rechtsanwaltes – Wilm Lenthe heißt er –, der um einige Jahre älter sein mochte als ich, machte davon eine Ausnahme. Ich pflegte ein paarmal in der Woche meine Abende dort zu verleben und währenddes meine Praxis, außer in besonderen Fällen, meinem Assistenten zu übertragen. Wenn der gleichfalls Vielbeschäftigte abends um acht Uhr in das einfache, aber behagliche Wohnzimmer trat, hatte seine liebenswürdige Frau, die zu hören und zu reden verstand, den Tee schon für uns bereit, und wir beide von der Tagesarbeit Ermüdeten drückten uns schweigend jeder in eine Sofaecke, bis die Belebung durch den chinesischen Trank unsere Nerven und unser Gespräch lebendig machte. Es war mir erquicklich, wie einst, Hans, wenn ich auf der Treppe zu meiner Studentenkneipe spätabends deinen Tritt vernahm und dann schleunigst meine Arbeit beiseite packte. Wie damals unsere Zwei-, so wurde auch hier die Dreizahl fast nie durch einen neuen Gast gestört.
Da, eines Herbstabends, wie ich auf ein lebhaftes »Herein« die Tür des Wohnzimmers öffnete, drang eine ungewohnte Helligkeit mir entgegen; ich sah, daß eine größere Lampe auf dem Tische brannte und daß außer dem Ehepaar eine mir unbekannte junge Dame in aschfarbenem Linnenkleid zugegen war, welche bei meinem Eintritt die Teeschenke zu versehen schien. Die Hausfrau kam mir entgegen. »Da ist er, der Erwartete!« rief sie, und die junge Dame an der Hand herbeiziehend, fügte sie hinzu: »Unsere Freundin Else Füßli; wie Sie dem Namen anhören, eine Schweizerin, und was Sie interessieren wird, aus der Familie, der auch Heinrich Füßli angehörte, dem zuerst die Darstellung des Unheimlichen in der deutschen Kunst gelang; Sie sehen, ich habe genau behalten, was Sie und mein Wilm mir neulich auseinandersetzten, da wir jenen Füßlischen Nachtmahr, der dort in der Ecke hängt, vor uns auf den Teetisch genommen hatten.«
»Er war mein Großoheim«, sage das Mädchen bescheiden.
»Und nun kommen Sie zum Tee!« fuhr meine ältere Freundin fort. »Sie brauchen nicht vorgestellt zu werden, denn Elsi wußte, daß wir unseren Freund, den Doktor Jebe, erwarteten.«
Dieser Redestrom, wohl eine Freude über den anmutigen Besuch, kam mir zustatten, denn ein geheimnisvoller Schrecken, zugleich die Empfindung eines schicksalschweren Augenblickes und eines betäubenden Glückes hatten mich getroffen; es war wie damals auf der Treppe unserer alten Gelehrtenschule: alles um mich her war vergessen, aber vor mir im hellen Lampenlichte sah ich die Augen und das blasse Antlitz meines Nachtgesichtes.
Jetzt war mir Zeit geworden, mich zusammenzuraffen; ich vermochte ein paar Worte zu der Fremden zu sprechen, dann gab ich meinem Freunde die Hand und setzte mich auf den gewohnten Platz. Die Schweizerin saß mir gegenüber, ein wenig zurück und etwas in dem Schatten unserer Hausfrau; ein zärtliches Licht fiel aus ihren Augen, wenn sie, was oft geschah, dieselben zu ihr kehrte. Mich streiften diese lichtgrauen Sterne nur ein paarmal und wandten sich dann scheu zur Seite, aber mir war, als ob sie heimlich prüfend auf mich sahen. Ich erfuhr im Gespräche, daß Fräulein Else eine Waise, daß ihr Vater ein Mann gewesen sei, der nach den Sonderkriegen auf eidgenössischer Seite sich hervorgetan habe; auch wo sie selber mit unseren Wirten sich kennen- und liebhaben gelernt hatte. Ich hörte das alles, aber es ging an mir vorüber; ich sah an diesem Abend das Mädchen doch nur im Scheine des Wunders – mir war, als habe ein Dämon, der meinige, sie, wer weiß woher, hier in das Haus
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