Werke
uns«, sagte er, indem er seine Uhr zog, »zu meiner Frau und zu unserer Teestunde; da wirst du morgen frischer in die Praxis gehen!«
Mit seinen herzlichen Worten überwand er allmählich meinen Widerstand, ich folgte ihm mechanisch; als wir aber in das Haus traten, durchschütterte mich der Klang der Türglocke, ich hätte fast gesagt, als läute das Armensünderglöcklein über mir; es war zum ersten Mal, daß ich seit Elsis Sterben ihren Klang vernahm.
Wir gingen in die helle warme Stube, und ich hörte deutlich die Teemaschine sausen. »Gottlob, daß wir Sie endlich wiederhaben!« sagte Frau Käthe, herzlich mir entgegenkommend, und drückte meine Hand.
Ich nickte: »Ja, liebe Freundin, wir drei sind wiederum zusammen.«
»O nein«, erwiderte die gute Frau, »so dürfen Sie nicht sprechen – die diese Zahl so lieblich einst durch sich vermehrte, sie ist noch mitten unter uns; sie war keine, die so leicht verschwindet.«
Ich setzte mich stumm auf meinen alten Sofaplatz, aber es war jetzt trübe auch im Haus der Freunde: die Worte, die sie über Elsi sprachen, auch die tiefempfundensten, und gerade die am meisten, sie quälten mich; ich kam mir herzlos und undankbar vor, aber ich konnte nichts darauf erwidern.
Am andern Tage war ich zum ersten Mal wieder in der Praxis und kassierte die entsetzlichen Beileidsreden meiner Patienten ein, von denen einige mich dazu mißtrauisch von der Seite ansahen, ob ich denn noch ihnen würde helfen können. Der neuen Krankheit traten wir mit Glück gegenüber; wenigstens so unerwartet schnell, wie sie gekommen, so rasch war die Epidemie nach einiger Zeit verschwunden.
– – Ich sagte dir schon, wenn wieder der Herbst kommt, sind es drei Jahre seit Elsis Tod. Ich habe aus diesem Zeitraum nur noch eines mitzuteilen; das übrige ging so hin, ich tat, was ich mußte oder auch nicht lassen konnte, aber ohne Anteil oder wissenschaftlichen Eifer. Mein Ruf als Arzt, wie ich mit Erstaunen wahrnahm, war noch im Steigen.
Also vernimm noch dieses eine; dann werden wir da sein, wo wir uns heut befinden.«
»Sprich nur!« sagte ich, »ich kann jetzt alles hören.«
»Nein, Hans«, erwiderte er, »es ist doch anders, als du denkst! – – Es mag vor reichlich einem Vierteljahr gewesen sein, als ich zu einer mir nur dem Namen nach bekannten Frau Etatsrätin Roden gerufen wurde; die Magd, die das bestellte, hatte hinzugefügt, gebeten werde, daß ich selber komme.
Da ich annahm, daß der Fall von einiger Bedeutung sei, ging ich kurz danach in das Haus, welches die verwitwete Dame allein mit einer Tochter bewohnte. Ein junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren kam mir bei meinem Eintritt entgegen; frisch, aufrecht, ein Bild der Gesundheit. »Fräulein Roden?« frug ich aufs Geratewohl, und sie nickte. »Hilda Roden!« fügte sie hinzu.
Dann stellte ich mich als Doktor Jebe vor.
»Oh, wie gut von Ihnen«, rief sie, »daß Sie selber kommen!«
»Glaubten Sie das nicht?«
»Ich wußte nicht, wie Sie es damit halten«, sprach sie, »aber nun freue ich mich; wir Frauen dürfen nicht zuviel verlangen!«
– »Sind Sie so überaus bescheiden?« frug ich und blickte das hübsche Mädchen mit etwas festeren Augen an.
Ein leichtes Rot überzog sekundenlang ihr Antlitz; sie schloß ihre weißen Zähne aufeinander und schüttelte so lebhaft den Kopf, daß der dunkle Zopf, der ihr im Nacken hing, zu beiden Seiten flog; und dabei zuckte aus den braunen Augen, die je zur Seite des feinen Stumpfnäschens saßen, ein fast übermütiges Leuchten. Doch war das nur für einen Augenblick. »O nein«, sagte sie plötzlich ernst; »ich wünschte nur so lebhaft, daß Sie selber kämen, und zitterte doch, Sie würden es nicht tun, denn meine Mutter, ich fürchte, sie ist recht krank, und sie mußte doch den besten Arzt haben!«
»Vertrauen Sie diesem Arzte nicht zu sehr!« erwiderte ich.
»O doch!« Und damit war sie fort; aber nach kurzer Weile, während ich, in meine Teilnahmlosigkeit zurückgefallen, das Muster der Tapete studiert hatte, sah schon ihr junges Antlitz wieder durch die geöffnete Tür des anliegenden Zimmers. »Meine Mutter läßt bitten!« sprach sie.
Dann stand ich am Krankenbett. »Mein gutes Kind«, sagte die noch fast jugendliche Dame, die den Kopf aus ihren Kissen hob, »hat Sie selber herbemüht; doch hoffe ich, Sie werden das Übel kleiner finden als die Sorge meiner Tochter.«
Ich begann dann mein Examen, beschäftigte mich näher mit der Kranken und fand am Ende, daß
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