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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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ich dasselbe Leiden wie bei Elsi vor mir hatte. Und gerade hier sollte ich es selber sein! – Eine Finsternis schien über mich zu fallen, und wirre Gedanken, wie ich mich losmachen und ferner dennoch meinen Assistenten schicken könne, kreuzten durch meinen Kopf; als ich dann aber in die erschreckten Augen der Tochter sah, die unbemerkt mir näher getreten war, wurde plötzlich alles anders: ich allein, sagte ich mir, sei der Arzt für diesen Fall, und mein Gehirn war nach langer Zeit zum ersten Mal im selben Augenblick schon beschäftigt, sich die Art der verzweifelten Kur zurechtzulegen. Ob die Hülflosigkeit der Kindesliebe oder ob Anmut und Jugend diese Sinnesänderung bewirkten, ich weiß es nicht.
    Als ich mit dem jungen Mädchen wieder in das Wohnzimmer getreten war, sah ich ihre Erregung an dem Zittern ihrer Lippen. »Darf ich Sie fragen«, sagte sie stammelnd – »Ihre Augen wurden vorhin mit einem Mal so finster – steht es so schlimm mit meiner Mutter?«
    Ich besann mich einen Augenblick. »Es ist eben eine ernste Krankheit«, entgegnete ich; »aber was Sie in meinem Antlitz etwa gelesen haben, war nur ein Widerschein aus der eigenen Vergangenheit.«
    Sie schien verwirrt zu werden. »Verzeihen Sie mir«, sagte sie, und ein flüchtiger Blick ihrer Augen traf in die meinen, »daß ich aufs neue daran gerührt habe; man denkt bei dem Arzt nur zu selten daran, daß er auch selber leiden könne.«
    Mir war, als flösse aus diesen einfachen Worten ein Strom von Mitleid zu mir herüber, so warm war ihre Stimme.
    Ich ging, unter dem Versprechen, mich am andern Vormittag zeitig wieder einzustellen; halb in erneutem Weh, doch auch, als hauche mir ein milder West ins Antlitz. Nicht ohne Scheu holte ich, zu Hause angekommen, das erwähnte Heft aus meiner Schublade und studierte den Artikel meines einstigen Lehrers. Das von dem Verfasser angewandte Verfahren bestand in einer Operation, die im Falle des Gelingens – das war einleuchtend – eine vollständige Heilung, aber widrigenfalls und, wie ich fürchtete, ebensooft einen schnellen Tod würde bringen können; denn freilich, das erkrankte Organ mußte mit dem Messer völlig entfernt werden. Doch wie es immer sein mochte, ich durfte nicht zurückstehen! Der Tod ich konnte nicht zweifeln – war ohne diese furchtbare Kur auch hier gewiß; auf der andern Seite aber stand das Leben, und nur eine gütige Absicht der Natur wurde vernichtet, auf die es hier schon nicht mehr ankam. Das noch kräftige Alter meiner Patientin und ihre sonst günstige Organisation ermutigten mich noch mehr. Ich war entschlossen, gleich am andern Vormittage der Kranken diesen schweren und mir noch zweifelhaften Schritt zur Rettung vorzuschlagen.
    Doch bevor ich dazu kam, am Morgen in der ersten Frühe schon, wurde ich zu der Etatsrätin gerufen. Ich fand die Tochter allein bei ihr: blaß, aber hoch aufgerichtet hielt sie die Mutter in ihren Armen; so hatte Elsi dereinst an meiner Brust gelegen. »Der Anfall ist vorüber«, sagte das Mädchen, indem sie die Kranke sanft auf ihre Kissen legte, um mir den Platz am Bette zu überlassen.
    Sie hatte recht, und die Schmerzen mußten stark gewesen sein. »Aber wo ist Ihre Wärterin?« frug ich.
    Ein Zucken flog um den Mund des Mädchens. »Ich denk, sie hat im ersten Schreck die Flucht ergriffen«, sagte sie; »sie wollte, ich weiß nicht was, aus ihrer Wohnung holen, aber sie wird nicht wiederkommen.«
    – »Und da sind Sie allein geblieben?«
    »Ich blieb allein bei meiner Mutter; ich werde es auch späterhin schon können!«
    Aber die Kranke hob sich auf in ihrem Bette. »Hör, Hilda«, sagte sie mit schwerer Stimme, »ich will, wenn ich gesund werde – und Gott und unser Doktor werden dazu helfen –, nicht gleich ein krankes Kind zu pflegen haben; helfen Sie mir, Herr Doktor, ich kenne den Eigensinn der Liebe in diesem jungen Kopfe.«
    Ich beruhigte die Frau und versprach, dieser Liebe zum Trotz eine festere Wärterin zu besorgen, aber nur mit Mühe wurde der Opfermut der Tochter besiegt. Ich verließ die Kranke für jetzt, mit dem Versprechen, am Nachmittage wieder nachzusehen, und war mit der Tochter dann allein im Wohnzimmer. »Fräulein Hilda«, sagte ich, »ich weiß jetzt, Sie sind stark; ich kann es Ihnen schon jetzt sagen, mit Ihrer Mutter werde ich heute nachmittag reden, wenn sie von ihrer schlimmen Nacht sich etwas erholt hat –«
    Sie unterbrach mich und sah mich mit ihren großen Augen fast zornig an. »Was ist?« rief sie,

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