Werke
daran, sie zum Binden fortzuschicken; zugleich blätterte ich und las die Überschriften und den Beginn von einzelnen Artikeln. Da fielen meine Augen auf eine Mitteilung, die mit dem Namen einer unserer bedeutendsten Autoritäten als Verfasser bezeichnet war, eines Mannes, der sich nur selten gedruckt vernehmen ließ. Ich warf mich mit dem Heft aufs Sofa und begann zu lesen und las immer weiter, bis meine Hände flogen und ein Todesschreck mich einem Beilfall gleich getroffen hatte. Der Verfasser schrieb über die Abdominalkrankheiten der Frauen, und bald las ich auf diesen Blättern die Krankheit meines Weibes, Schritt für Schritt, bis zu dem Gipfel, wo ich den zitternden Lebensfaden selbst durchschnitten hatte. Dann kam ein Satz, und wie mit glühenden Lettern hat er sich mir eingebrannt: »Man hat bisher« – so las ich zwei- und dreimal wieder – »dies Leiden für absolut tödlich gehalten; ich aber bin imstande, in nachstehendem ein Verfahren mitzuteilen, wodurch es mir möglich wurde, von fünf Frauen drei dem Leben und ihrer Familie wiederzugeben.«
Das übrige las ich nicht; meine Augen flogen nur darüber hin. Es war auch so genug: der Verfasser jenes Satzes war mein akademischer Lehrer gewesen, zu dem ich damals, und auch jetzt noch, ein fast abergläubisches Vertrauen hatte.
Ich blätterte bis zu dem Umschlage des Heftes zurück und las noch einmal den Monatsnamen, der darauf gedruckt stand; es war unzweifelhaft dasselbe, welches ich vierzehn Tage vor Elsis Tod dem Postboten abgenommen und dann ahnungslos in die Schublade geworfen hatte. – Lange lag ich, ohne die auf mich eindringenden Gedanken fassen zu können. Er hat es gesagt! – das ging zuerst in meinem Kopf herum; er ist kein Schwindler, auch kein Renommist. – – ›Mörder!‹ sprach ich zu mir selbst, ›o allweiser Mörder!‹
Wo ich an dem Rest des Tages mich befand, wie er zu Ende ging, ich kann es dir nicht sagen. Es war am Ende eine alltägliche Geschichte, man konnte sie alle Monat und noch öfter in den Zeitungen lesen: Ein Mann hatte Weib und Kinder, ein Weib hatte ihre Kinder umgebracht; verzweifelnde Liebe hatte ihre wie meine Hand geführt. Aber ich hatte in meinem Hochmut diese Väter und Mütter bisher verachtet, ja gehaßt, denn das Leben, dem gegenüber sie verzagten, mußte trotz alledem bestanden werden; sie waren feige gewesen, und ich gönnte ihnen Beil und Block, dem sie verfallen waren; ich selbst, ich hatte nur nachgedrückt auf die Sense des Todes, die ich mit der Hand zu fühlen glaubte, damit sie auf einmal töte, nicht nur in grausamem Spiel zuvor erbarmungslos verwunde. Jetzt aber zeigte mir ein alter Lehrer, daß sie noch gar nicht vorhanden war und daß nur meine eigene gottverlassene Hand mein Weib getötet hatte. Glaub aber nicht, es sei mir in den Sinn gekommen, mich den Gerichten zu übergeben und nach dem Strafrecht mein Verbrechen abzubüßen; nein, Hans, ich bin ein zu guter Protestant, ich weiß zu wohl, weder Richter noch Priester können mich erlösen; mein war die Tat, und ich allein habe die Verantwortlichkeit dafür; soll eine Sühne sein, so muß ich sie selber finden. Überdies – bei dem furchtbaren Ernst, in dem ich lebte, erschien’s mir wie ein Possenspiel, wenn ich mich auf dem Schafott dachte.
– – Zum Unglück, oder soll ich sagen zum Glück, trat an jenem Abend auch noch Freund Lenthe zu mir ins Zimmer, den ich seit dem Begräbnis nicht gesehen hatte. »Was treibst du?« rief er mir zu; »ich mußte doch endlich einmal nachsehen!«
Ich reichte ihm die Hand, aber als er in mein Gesicht sah, mochte er freilich wohl erschrecken. »Du siehst übel aus«, sagte er ernst, »als ob du dein Leben ganz der Toten hingegeben hättest. Das ist Frevel, Franz! Die Stadt draußen ist in Not und Schrecken um ihre Söhne und Töchter, und du, der sonst der Helfer war, sperrst dich ab in deinem Hause und läßt von deinem eigenen Gram dich fressen!«
So fuhr er eine Weile fort; aber seine Reden gingen über mich weg; was er sprach, klang mir wie Unsinn, »Blech«, wie wir zu sagen pflegten. Freilich, wer immer zu mir hätte reden mögen – es wäre wohl ebenso gewesen, denn ich hatte das Verhältnis zu den Menschen verloren; mein Innerstes war eine Welt für sich. – Als ich endlich sagte, daß ich mit meinem Assistenten am Nachmittage eine Konferenz gehalten, daß wir in dieser über die Behandlung der neuen Krankheit uns vereinbart hätten, wurde er ganz beruhigt. »Und nun komm mit zu
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