Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
plötzlich, daß ich das Fläschchen in meiner linken Hand hatte. Es durchfuhr mich; ich hatte mein Weib noch immer in den Armen. Dann kam ein Augenblick...«
    Der Erzähler stockte. »Franz«, schrie ich, »Franz, du hast dein Weib getötet!«
    Er hob die Hand: »Still!« sagte er; »ich will das Wort nicht scheuen: ich habe sie getötet. Aber damals erschreckte es mich nicht; ging doch das Leid zu Ende! Ich fühlte, wie das junge Haupt an meiner Brust herabsank, wie die Schmerzen sanken; noch einmal wandte sich ihr Antlitz, und – es mag ja Täuschung gewesen sein, mir aber war es, als säh ich in das Antlitz meines Nachtgesichts, wie es einstmals verschwindend von mir Abschied nahm; jenes und meines Weibes Züge waren mir in diesem Augenblicke eins.
    Die Zeit meiner Jugend überkam mich; das Abendrot brach durch die Scheiben und überflutete sanft die Sterbende und alles um sie her. Und nun jenes hörbare Atmen, das ich bei andern nur zu oft gehört hatte; ich neigte mein Ohr an ihre Lippen, es war keine Täuschung, und noch in meiner letzten Stunde werd ich es hören: »Dank, Franz!« – dann streckten diese jungen Glieder sich zum letzten Mal.«
    Franz schwieg; er hatte schon vorher seinen Sofaplatz verlassen und sich einen Stuhl mir gegenüber hergeschoben. Ich hörte, wie in einem Bann befangen; aber ich unterbrach ihn nicht mehr, ich wartete geduldig.
    »Wie lange ich so gesessen«, begann er nach einer Weile wieder, »die Tote in meinen Armen, weiß ich nicht; nur eines entsinne ich mich: es mag noch vor dem Dunkelwerden gewesen sein, da war mir, als höre ich aus dem anstoßenden Wohnzimmer leise Schritte über den Teppich gegen unsere Tür kommen; als sie sich ohne Anpochen öffnete, sieht unserer Freundin, Frau Käthes, teilnehmendes Antlitz in das Zimmer; sie pflegte jeden Nachmittag der Kranken Trost und Erquickung zu bringen. Aber diesmal kam sie nicht; ich sah plötzlich, daß die Tür wieder geschlossen war, und hörte ein herzbrechendes Schluchzen durch das Wohnzimmer sich entfernen. Die Gruppe, welche der Lebendige und die Tote miteinander machten, hatte ihr die Vernichtung meines Hauses kundgetan.
    Ich saß noch lange ohne Regung; dann aber, als ich fühlte, daß es dunkel um mich her war und nur der Mondstreifen, welcher noch gestern Elsis lebendiges Herz erfreut hatte, wieder durch das Südostfenster hereinfiel, ließ ich den Leichnam aus meinen Armen auf das Bett sinken und verließ das Zimmer, das ich hinter mir verschloß. Mir ist noch genau erinnerlich, daß ich das Gefühl hatte, als ob ich auf Stelzen gehe, als seien meine Glieder nicht die meinen. So befand ich mich nach kurzer Zeit im Garten; mir war, als müßte sie dort sein, da sie nicht mehr im Hause war. Ich ging zwischen den Rasen, zwischen den Tannen; bald im Schatten, bald fiel das Mondlicht auf die Steige; mitunter fuhr ein Nachtwind auf und führte eine Schar von fallenden Blättern durch die Luft; weiße Scheine lagen hier und da auf Bänken oder Büschen; aber von ihr war keine Spur, eine totenstille Einsamkeit war auch hier um mich herum. Mich schauerte, als ich laut und dann noch einmal ihren Namen rief. Ich wollte, ich mußte noch eine Lebensäußerung von ihr haben; für das, was ich ihr getan hatte, waren auch ihre letzten Worte mir nicht genug. Ich stand und hielt den Atem an, um auch den kleinsten Laut nicht zu verlieren, aber nichts kam zurück, nichts, was ich mit den Sinnen fassen konnte: was ich besessen hatte – das hatte ich gehabt, das war im sicheren Lande der Vergangenheit; das Sausen in den Tannen, der dumpfe Rabenschrei, der aus der Luft herabscholl, gehörten nicht dazu. Da – ich entsinne mich dessen noch deutlich – fühlte ich etwas um meine Füße streichen, sich leise an mich drängen. Als ich hinabblickte, sah ich,daß es die arme weiße Katze war; sie ringelte den Schwanz und mauzte kläglich zu herauf. »Suchst du sie auch?« sagte ich. Dann hob ich das Tier auf meinen Arm und ging mit ihm dem Hause zu.
    Die Nacht saß ich bei ihr, die ich getötet hatte; keine Lampe brannte, es war ganz finster in dem Zimmer; in meiner Hand hielt ich eine andere; sie war schon kalt, sie wurde immer kälter, ich konnte es nicht ändern, und als es Morgen wurde, fühlte ich es bis ins Herz hinein. Da kam mir der Gedanke, ob denn der Tod nicht ansteckend sei; aber es war nicht, es war überhaupt auch sonst nichts, gar nichts; nur ihr geliebtes Haupt lag still und friedlich auf dem Kissen.«
     
    Mein Freund war

Weitere Kostenlose Bücher