Wernievergibt
Beiträge selbst in renommierten Magazinen sowieso um einiges später als abgesprochen. Redakteure änderten eben schnell ihre Meinung, wenn es darum ging, welche Themen in einer Ausgabe zusammenpassten und welche nicht.
Ich packte mein Notebook ein und bezahlte die Rechnung. Sollte Lynn für die Spesen bluten. Derweil erkundigte sich Sopo im Konservatorium nach dem ausgefallenen Clevelandkonzert. Niemand wusste Genaues, die Dame am Telefon bot aber sogleich an, den Ticketpreis zu reduzieren. Sopo führte uns aus der verwinkelten Fußgängerzone heraus und stoppte ein Taxi. Das Spesenkonto versprach, proppenvoll zu werden.
Unser Taxi erklomm eine schmale, kopfsteingepflasterte Steigung hinter der Metrostation an der Rustaweli-Avenue.
»Hier, Kea, kannst du dir den gewinnbringenden Einsatz unserer Steuergelder ansehen«, unkte Juliane. Wir hielten vor einem weißen Gebäude in einer engen Straße. In Tbilissi gab es entweder ungeheuerliche Avenuen, auf denen der Verkehr ungebremst und ungeregelt brandete, oder kleine Sträßchen, in denen die Häuser sich gegenseitig auf die Zehen traten, mit Geschäften an allen möglichen und unmöglichen Orten, im Souterrain, an der Ecke, hinter einem Baum. Die Sandukeli-Straße, wo das Goethe-Institut eine Heimat gefunden hatte, leuchtete Grün vom frischen Laub der Bäume. Ein Sicherheitsmann nickte uns zu, als wir das Institut betraten.
»Das Haus ist das ehemalige deutsche Generalkonsulat«, verriet uns Sopo. »Kommen Sie.«
Zwei Stockwerke höher herrschte buntes Treiben. Marineblau gekleidete Kinder zwischen sieben und 16 sausten durch das Foyer, in dem außer stolzen Eltern auch ein paar andere Erwachsene herumstanden. Juliane sah auf die Uhr. »Na, allmählich müssen sie mal in die Gänge kommen.«
Sopo lächelte nachsichtig. »In Georgien fangen wir nicht immer so pünktlich an«, sagte sie.
Weil pünktlich eben ein Begriff ist, den man erstmal interpretieren muss, dachte ich. Ist es pünktlich, auf die Sekunde genau irgendwo reinzuschneien, oder ist es pünktlich, eine Viertelstunde später zu kommen?
»Wer ist die Leiterin?«, fragte ich Sopo. »Könnten Sie mal fragen?« Mir ging es zunehmend auf den Geist, wegen der simpelsten Dinge eine Dolmetscherin zu brauchen. Ich hatte Anglistik studiert und konnte immer noch ziemlich gut Englisch, hatte mir autodidaktisch ein bisschen Spanisch beigebracht. Das nützte mir hier alles nichts. Ich würde damit beginnen müssen, diese runden, kuscheligen Buchstaben zu lernen.
»Frau Weiß ist gerade nicht abkömmlich.« Eine Dame mit blondiertem Haar, einem engen, schwarzen Kostüm und unverschämt hohen Absätzen stöckelte auf mich zu. Das Parkett war ohnehin glatt wie eine Eisbahn. Darauf in High Heels zu balancieren, stellte eine akrobatische Glanzleistung dar. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen? Ich bin Thea Wasadse, die Sekretärin von Frau Weiß.«
»Kea Laverde, Reisejournalistin.« Ich sah, wie Juliane unsere Dolmetscherin beiseitenahm und mit ihr im Festsaal verschwand. »Eine … Freundin hat mir vom Kinderchor ›Unser Georgien‹ erzählt. Können Sie mir dazu …«
Ich brauchte gar nicht weitersprechen. In perfektem Deutsch legte Thea los. »Man nimmt uns in Deutschland doch einmal wahr, wie schön!« Sie lächelte verkniffen. Unter der dicken Schicht Make-up sah ich tief eingegrabene Fältchen um Augen und Mund. Das toupierte Haar wirkte glanzlos. Thea Wasadse tat alles, um superschick auszusehen. Hinter der Fassade wirkte sie wie eine Baustelle, auf der vergeblich gegen den Verfall anrestauriert wurde.
»Was meinen Sie?«
»Es war erst kürzlich eine Journalistin hier. Eine gewisse Mira, glaube ich. Eine mit kurzen, blonden Locken. Aus Deutschland. Nach unserem letzten Konzert in Tbilissi gingen wir zum Feiern in ein Restaurant, und Isolde lud Mira spontan ein, mitzukommen.«
Mir wurde warm. Endlich eine Spur. Wo sollte ich weitermachen? Jemand trieb die Kinder in den Saal, aus dem inzwischen Klavierkadenzen zu hören waren. Ich hoffte, Juliane würde mir einen Platz besetzen.
»Der Chor«, begann ich.
»›Unser Georgien ‹ wurde 1921 als deutscher Kinderchor gegründet«, legte Thea los. »Eine deutsche Musikprofessorin namens Helene Adelsdorfer gründete ein Vokalensemble, das in Georgien schnell Furore machte. Zunächst bestehend aus 12 Sängerinnen, hatte es sich zum Ziel gesetzt, deutsches Liedgut zu pflegen. Volkslieder, aber genauso klassische Stücke. Helene Adelsdorfer starb 1939, und
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