Wernievergibt
weiße Jeans. Ich selbst hatte beim Packen offenbar nicht mitgedacht. Außer Jeans, einer leichten Sommerhose und ein paar T-Shirts hatte ich nichts zu bieten.
»Aber Clara Cleveland ist eine sehr bescheidene Frau. Sie hat nie vergessen, woher sie stammt. Das rechnen ihr die Menschen hier hoch an. Sie verzichtet während dieser Georgientour auf ihre Gage. Mit dem Geld unterstützt sie musikalisch begabte Kinder aus armen Familien. Sie finanziert ihre Ausbildung, damit die Talentiertesten ein Studium der Musik aufnehmen können, wenn sie die Regelschule beendet haben.«
»Dazu wird die Gage einer Konzertreise nicht ausreichen«, entgegnete ich. Mir fiel wieder ein, dass ich bei ›Cologne Concertos‹ anrufen wollte, um nach Clara zu fragen.
»Seit sie berühmt ist, investiert Clara in Musikprojekte. Sie treibt Sponsoren auf, die Patenschaften für einzelne Kinder übernehmen und ihnen das Musikstudium bezahlen. Die meisten Familien könnten sich das nie leisten.«
»Wer leitet den Kinderchor?«, erkundigte sich Juliane in ihrer praktischen Art.
Sopo hängte sich ans Telefon.
Ich tat dasselbe. Bei Cologne Concertos in München meldete sich nur ein Anrufbeantworter. Weil ich keinen Plan hatte, was ich sagen sollte, legte ich auf. In Köln antwortete eine muntere Dame.
»Cologne Concertos, Asmus, was kann ich für Sie tun?«
»Sie haben doch Clara Cleveland unter Vertrag. Richtig?«
»Das ist korrekt.«
»Gestern fiel in Tbilissi ein Konzert mit ihr aus. Meine Mutter und ich«, ich feixte zu Juliane hinüber, »sind ausgesprochene Fans der Cleveland. Gibt es einen Ersatztermin?«
»Darüber bin ich nicht informiert.« Frau Asmus’ Stimme tirilierte eine halbe Oktave höher. »Wo, sagen Sie, sollte das Konzert stattfinden?«
»Tbilissi. Georgien.«
»Meinen Sie vielleicht Tiflis?«
So viel hatte ich schon mitbekommen, dass es den Georgiern nicht gefiel, wenn ihre Hauptstadt mit dem russifizierten Namen bezeichnet wurde.
»Tbilissi, Tiflis. Egal.«
»Mir ist nichts darüber bekannt, dass ein Konzert ausfallen musste.« Ich hörte das Klicken einer Tastatur. »Der Veranstalter sollte Ihnen da besser Auskunft geben können.« Die Sekretärin legte stimmlich noch eine Quart zu. »Das ist, Moment bitte, das Saradschischwili State Conservatoire Tiflis in Kooperation mit dem Opernhaus.«
»Vielleicht ist es interessant für Sie zu hören, dass Ihr Opernstarlet seit beinahe zwei Wochen nicht mehr gesehen wurde«, haute ich auf den Putz.
»Bitte? Wer sind Sie überhaupt?«
Ich legte auf. Zwei Minuten später tat Sopo dasselbe.
»Eine gewisse Isolde Weiß leitet den Kinderchor. Sie lebt in Balnuri. Der Chor hat dort seinen Sitz. Aber sie sind alle gerade auf der Fahrt nach Tbilissi. Heute Abend um sieben treten sie im Goethe-Institut auf.«
Triumphierend sah Juliane mich an. »Wir kommen doch noch zu unserem Musikgenuss. Das hören wir uns an!«
13
Bis zum Abend hatte ich mithilfe eines kostenlosen Hotspots in einer Kneipe nahe der Sioni-Kirche im Zentrum des alten Tbilissi nachgelesen, dass Clara Cleveland mit bürgerlichem Namen Clara Müller, den Winter über in allen deutschen Zeitungen als neuer Stern am Opernhimmel gefeiert worden war.
Meine Gedanken rotierten. Wie konnte es sein, dass zwei Frauen verschwanden, ohne dass irgendjemand nach ihnen forschte? Führten sie ein einsames Leben ohne Freunde oder Lebenspartner, die irgendwann mal auf die Idee kommen würden, nach ihnen zu suchen?
Sopo brachte uns zum Mittagessen in ein winziges Lokal. Außer Chatschapuri, Salat und Chinkali, mit Hackfleisch gefüllte Teigbeutel, die an gigantische Tortellini erinnerten, waren keine weiteren Speisen im Angebot. Dafür schmeckte alles so köstlich, dass ich mich um mein Gewicht zu sorgen begann. Sopo bestellte eine zweite Portion von den Teigbeuteln. Man packte sie mit den Fingern, biss hinein und schlürfte die Brühe heraus, um anschließend Hackfleisch und Teig zu verspeisen. Übrig blieben die Zipfel, wo der Teig zusammengedreht wurde, um den Beutel zu schließen. Auf meinem Teller hatten sich zehn Zipfel angesammelt. Ich war am Platzen.
Zwischendurch rief Lynn Digas an, fragte, wie das Geschäft lief und machte mir ziemlich Feuer unterm Hintern. Ihr Drängen kam mir allmählich spanisch vor. Anders als im Tagesjournalismus verdarben Reisenachrichten nicht so schnell. Einen Artikel über Tourismus in Georgien würde sie einen Monat später genauso unterbringen. Meiner Erfahrung nach erschienen die meisten
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