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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Kühe und Schweine spazierten auf der Straße umher und bequemten sich erst dazu, auszuweichen, wenn Wano mit voller Geschwindigkeit auf sie zuhielt und wütend hupte. Wir überholten Pferdefuhrwerke und vollgestopfte Sammeltaxis. Ich kam mir außerirdisch vor.
    »Na, das ist doch mal was!« Enthusiastisch lehnte Juliane sich vor.
    »Was meinst du?«
    »Tbilissi ist mir zu westlich. Das hier ist das echte Georgien.«
    »Spinnst du? Zu westlich?«
    »Siehst du hier irgendeine englische Aufschrift?«
    Ich schüttelte stumm den Kopf.
    »Eben. In Tbilissi meinen sie, sich beweisen müssen, dass sie die Anbindung an Europa längst geschafft haben. Hier dagegen weißt du, wo du bist. In Eurasien.«
    Ich schielte zu Sopo. Sie schien zu schlafen. Ihr Kopf dotzte von Zeit zu Zeit gegen den Seitenholm, ohne dass ihr das etwas ausmachte.
    »Ehrlich gesagt finde ich es ziemlich beruhigend, dass Georgien nach Westen strebt.«
    »Ich meine es nicht politisch. Ich meine es kulturell.«
    »Gibt es da einen Unterschied?«
    Juliane hob die Schultern. »Muss. Oder nicht?«
    Ich wusste nicht weiter. Meine Vorstellung von den Schubladen in der Weltkommode war ziemlich durcheinander geraten. Ich war in Georgien, und die meisten Georgier betrachteten sich als Europäer. Menschen wie Thea oder Tamara schienen übriggeblieben aus einer großbürgerlichen Zeit, wie es sie in Deutschland zuletzt in den frühen 30ern des vergangenen Jahrhunderts gegeben hatte. Ich fühlte mich in diesem Land wie im Orient. Politisch suchten viele den Anschluss an NATO und EU, jedoch wirkte das Benehmen der Parteien und Funktionsträger, das ich seit einigen Tagen im Internet nachzuvollziehen versuchte, auf mich ziemlich anarchisch. Wie ein hitzköpfiger Streit um das Wechselgeld auf einem Basar und nicht wie Politik in einem Parlament.
    Wir kamen nach Bordschomi, wo uns Nieselregen und kühle zwölf Grad empfingen, und ich grübelte ununterbrochen.
    Wenig später checkten wir in einem kleinen Hotel am Hang ein. Die Fahrt hatte mich ermüdet. Außerdem fühlte ich eine Erkältung aufziehen. Der Spaziergang zum Zarenschloss konnte mich auch nicht aufheitern. Windböen sausten von den Gipfeln herab und trieben uns die Tränen in die Augen. Ich nahm Sopos Erklärungen auf meinem Diktiergerät auf. Mit dickem Kopf und schmerzendem Hals kam mir die Konzentration abhanden.
    Bordschomi deprimierte mich. Das noch zaghafte Grün, das enge Tal, die Nebelfetzen, der schäumende Fluss – alles drückte mir aufs Gemüt. Ich bat Sopo, in einer Apotheke nach Nasentropfen und Halstabletten zu fragen. Sie kam mit einer Tüte zurück, die zwei in kyrillischen Buchstaben beschriftete Schachteln enthielt.
    »Geh ins Hotel zurück!«, bestimmte Juliane, »leg dich trocken und kuriere dich aus!«
    Ich blickte mürrisch auf meine durchweichten All Stars. Etwas anderes blieb mir nicht übrig.
     
    Als ich gegen vier am Nachmittag in mein Zimmer zurückkam, schlug das offene Fenster im Wind. Ich knallte es zu, sank auf mein Bett, kuschelte mich unter klamme Laken und schlief sofort ein. Mein letzter Gedanke, der kurz in meinem Kopf aufblitzte, enthielt eine große Portion Sehnsucht nach dem warmen Tbilissi.
     
    Ich wachte auf, weil jemand an meine Tür pochte.
    »Kea, mach auf!«
    Juliane!
    Ich drehte den Schlüssel, produzierte dabei ein lautes KLACK und ließ sie herein.
    Sie hielt einen dampfenden Chatschapuri auf einem Pappteller in der einen und eine Tüte in der anderen Hand. »Mach schnell, ich verbrenne mir die Finger.«
    »Wo hast du das Essen her?«
    »Habe ich mit Sopo an einem Imbiss gekauft.« Juliane richtete auf meinem Nachttisch ein kleines Menü an. »Wie geht’s dir?«
    Ich hustete prüfend. »Geht schon wieder.«
    »Das ist alles psychisch.«
    »Unsinn. Das war Wano mit seinem Frischluftwahn. Wo steckt der überhaupt?«
    Juliane zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Das ist geräucherter Käse, hier wären Birnen, Äpfel und heiße Milch mit Honig aus der Hotelküche.«
    »Merci, Maman, chérie.«
    »Quatsch nicht rum, iss. Du musst zu Kräften kommen. Morgen wollen wir in die Berge.«
    Ich schnaubte. »Kaum habe ich mich in Tbilissi eingelebt, schleppt ihr mich in die Pampa.«
    »Nonsense. Du fühlst dich wie dreimal durch den Fleischwolf gedreht. Den Kaukasus kann niemand bereisen, ohne zwischendurch mal durchzudrehen.«
    »Ach nee. Und du? Drehst du auch durch?«
    Juliane setzte sich auf meine Bettkante.
    »Pass mal auf, Herzchen. Ich bin 78 Jahre alt, und nicht

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