Wernievergibt
Georgien, Thema Tourismus: Das war entweder ein Fake, eine Tarnung, um ihre wahren Absichten zu verschleiern – oder sie hatte ganz klar einen politischen Auftrag.«
»Lynns Agentur hat mit Politik nichts am Hut«, protestierte ich lahm.
»Mira kann Lynn ja dazu überredet haben, sie unter dem Deckmantel einer Reportagereise nach Georgien zu schicken. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht ist es nicht so ganz einfach, als investigative, politische Journalistin in Georgien zu arbeiten. Erst letztes Jahr gab es über drei Monate lang Proteste gegen den Präsidenten, Straßenblockaden und eine Menge Aufruhr. Die regierende Partei ist genauso dünnhäutig wie die Opposition. Die Russen mischen eifrig mit.«
Ich sah Juliane zweifelnd an. Die überzeugte Sozialistin, die Russland Imperialismus unterstellte?
»Georgien ist nach wie vor russisches Interessengebiet«, erläuterte Juliane. »Sie haben das Baltikum verloren, die Ukraine. Sie wollen nicht auch noch den Kaukasus verlieren. Es bröckelt an allen Ecken und Enden. Vorsicht war schon immer die Mutter der Porzellankiste.«
Ich schluckte. Wenigstens hatte der Schock meine Erkältung weggeblasen.
»Schau mal, ob Mira ein Twitter-Account hat.«
»Hat sie.« Juliane klickte ein paar Mal. »Schau: Der letzte Tweet stammt vom 25.3. Am 26. flog sie nach Tbilissi.«
Wir überflogen die Tweets. Mira äußerte sich zu allem Möglichen, was mit Politik zu tun hatte, zwitscherte fremde Tweets zum Thema weiter und reagierte auf die Äußerungen anderer Leute aus dem Netz.
»Ihre Reise nach Georgien hat sie mit keinem Wort erwähnt«, sagte ich.
»Man schreibt im Netz besser nicht, dass man Mann und Kinder allein in der Wohnung in der Soundsostraße lässt, während man selbst durch die Welt tourt.«
»Warum ausgerechnet mein Rechner? Ich bin definitiv keine politische Aktivistin.«
»Das ist easy, Kea: Du bist Miras Nachfolgerin.«
»Wer konnte das wissen?«
»Du hast es selbst herumerzählt.«
»Na, Sopo weiß es, Wano vielleicht, Thomas.«
»Der Israeli?«
Ich nickte und fasste einen Entschluss. »Juliane, da ist noch was. Beso hat letzte Nacht pflichtschuldig einen Anruf entgegengenommen und mir eine Notiz geschrieben. Ich soll vorsichtig sein.«
Juliane rieb sich das Stoppelhaar. »Aha.«
»Das war ein One-Night-Stand.«
»Mir brauchst du das nicht zu erklären. Aber irgendwem bist du auf die Zehen getreten.«
»Definitiv nicht einem Typen, der in Gas macht. Außerdem hat eine Frau im Hotel in Tbilissi angerufen und ihre Duftnote hinterlassen. Kein Mann. Ich habe an eine Eifersüchtelei gedacht. Kann doch sein, dass dieser Thomas eine Freundin hat.«
»Da siehst du mal: Treue ist weit weniger stressig als eine Affäre.«
Ich musste lachen. »Du spinnst.«
»Ist aber so. Wärst du mit Nero nach Wiesbaden gefahren und hättest im Hotel deine Biografien geschrieben, während er im BKA doziert, wäre das alles nicht passiert. Klammern wir die Telefondrohung mal aus. Und sonst?«
»Wir sind erst vor vier Tagen angekommen! Bisher hatten wir nur mit Sopo, Tamara und den Frauen vom Chor Kontakt.«
»Also, Tamara können wir streichen, schätze ich«, seufzte Juliane und kuschelte sich in mein Bett.
Ich ging ins Bad, füllte mein Zahnputzglas mit Leitungswasser. Das wäre die Schau gewesen: Nero auf seinen Dozentenreisen zu begleiten und im Hotel auf ihn zu warten. Bei aller Liebe – da hockte ich lieber in Bordschomi. Während ich gierig mein Wasser trank, war mir klar, dass hier der Trotz eine gewisse Rolle spielte. Der immer funktionsfähige Schutz vor der Unbill der Welt: die Trauben nicht zu mögen, die zu hoch hängen. »Juliane, was meinst du«, fragte ich und setzte mich neben sie, »warum sich Mira für Clara interessiert hat?«
»Naja, nachdem sie nicht auf der Kulturschiene läuft, war das entweder auch Tarnung …«
» … oder …« Ich schwieg ein paar Sekunden. »Könnte Clara auch politische Aktivistin sein?«
»Klingt verdammt unlogisch«, gab Juliane zu. »Vielleicht haben die beiden sich einfach nur gut verstanden. Wollten sich mal auf einen Kaffee treffen. Man kann sich nicht ständig mit desolaten Sachen wie Politik beschäftigen.«
»Thomas sagte mir, er hätte mit Clara was getrunken. Im Elvis Presley. Und zwar am 28.3., nach Claras Auftritt in der Philharmonie.«
»Das fällt dir natürlich erst jetzt wieder ein.«
Ich stopfte mir ein Kissen in den Rücken. Mein Nacken wurde langsam total steif. »Dann wäre eine
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