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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Augenblick nach. »Was ich meinte, war eher, Clara sucht ein Zuhause. Einen friedlichen Ort. Einen, wo sie sein kann, wie sie ist: eben widersprüchlich. Wissen Sie, wir Menschen sind alle widersprüchlich. Manche Lebensphasen sind schlimmer als andere. Wir möchten gleichzeitig verheiratet und geschieden sein, die Uni verlassen und einen Doktortitel erwerben. Zerrissenheit zeugt von innerem Wachstum. Das Leben geht nicht geradeaus. Es besteht aus Kurven und Fallen und hat offensichtlich Spaß daran, uns dabei zuzusehen, wie wir hineinpurzeln.«
    Auch wieder wahr. Ich hatte den Eindruck, gerade in einer Falle zu sitzen, ohne zu wissen, woraus genau sie bestand.
    »Wenn sie sich nach einer Heimat sehnt«, unterbrach Juliane meine trübsinnigen Gedanken, »warum hockt sie in Tbilissi in einer sterilen Hotelsuite und nicht bei ihren Verwandten in Balnuri? Wäre das nicht logischer?«
    Kristin faltete ihre Stirn. »Sie berichtete mir, dass sie bei ihren Cousinen und Tanten nicht willkommen sei.«
    »Eigenartig! Bei allem, was Sie uns eben über georgische Gastfreundschaft und Zusammenhalt erzählt haben«, bemerkte ich.
    »Das finde ich auch«, bestätigte Kristin. »Es gibt nur eine Erklärung: Etwas muss vorgefallen sein, was Clara von der gefeierten Berühmtheit, auf die man stolz ist, zur Unperson gemacht hat.«
    »Was könnte das sein?«
    »Vertrauensbruch. Oder eine riesige Enttäuschung. Eine Liebesgeschichte. Betrug.« Kristin winkte der Kellnerin. »Möchten Sie noch etwas? Eis?«
    Juliane und Kristin bestellten Eis, ich einen türkischen Kaffee. Mein Hirn brauchte Koffein, um die Puzzleteile zurechtzulegen, bevor ich ein Bild daraus formte.
    »Die Georgier lieben dich sofort, wenn sie dich nett finden«, sagte Kristin. »Wenn du etwas tust, was ihnen gegen den Strich geht, dann hassen sie dich mit der gleichen Inbrunst, mit der sie dich vorher geliebt haben.«
    »Heißes, südliches Blut«, kommentierte Juliane.
    »Es mag damit zu tun haben. Sie besitzen ein wilderes Temperament als wir Westler«, nickte Kristin. »Sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Sie bersten einfach!«
    »Was für ein Vertrauensbruch könnte Clara sich zuschulden haben kommen lassen?«, fragte ich. Vielleicht würden die letzten Seiten von Claras Tagebuch Auskunft geben. Die Kopien steckten in meinem Rucksack. Wir könnten uns an Ort und Stelle darüber hermachen. Aber ich wollte sie jetzt nicht lesen. Ich wollte meine Gedanken schweifen lassen, bevor ich die Wahrheit erfuhr und vielleicht enttäuscht wurde.
    »Geld«, schlug Juliane vor. »Streitereien um Geld sind die schlimmsten.«
    »Clara strebt nach Perfektion«, meinte Kristin und sah durch uns hindurch, als könne sie die Diva irgendwo hinter uns ausmachen. »Keine Ruhe, keine Rast. Ihr Job verlangt ihr alles ab. Sie bekommt eine Gage, Ruhm, eine Luxussuite. Nur keine Liebe.«
    »Höchstleistung erbringt, wer als Kind nie gut genug war«, sagte Juliane weise.
    »Hat sie Andeutungen gemacht?«, fragte ich Kristin.
    »Sie war an jenem Abend sehr unglücklich. Es schien eine längere, intensive Traurigkeit zu sein. Nichts Akutes. Zurückweisung kann solche Gefühle auslösen. Den Eindruck erwecken, man treibe im Nichts.«
    »Da treibe ich auch«, murmelte ich auf deutsch. Besser, Kristin verstand nicht. Bei Psychotanten wusste man nie.
    »Ich versuchte Clara klarzumachen, dass das, was wir wirklich brauchen, schon zu uns kommt. Man benötigt Vertrauen und Geduld. Muss sich die Erfüllung eines Wunsches immer wieder vor Augen führen«, sagte Kristin.
    »Es ist eine Sache, wenn Claras Verwandte sie nicht mehr wollen. Verwandtschaft ist ein Gesindel«, fasste Juliane zusammen. »Aber die ganze Stadt schien auf sie zu blicken wie auf einen strahlenden Edelstein. Weil sie den Chor unterstützt und die Kinder fördert.«
    »Das sollte man meinen«, nickte Kristin ratlos.
    Das ist der Knick!, dachte ich. Genau das. Der Kaffee kam. Ich brauchte ihn nicht mehr. Ich wusste, wonach wir suchen mussten.

27
    Guga fuhr zum Schrottplatz. Er nahm den Streifenwagen. Irakli gab ein Fest zu Ehren der Geburt seines Sohnes. Den Schnaps hatte er am Tag zuvor bei einem Kumpel in Zinandali geholt – mit dem Streifenwagen. Guga war der Ansicht, dass das, was er vorhatte, mehr mit dem Dienst zu tun hatte als Iraklis Party.
    Im Autowrack gab es kaum verwertbare Fingerabdrücke. Guga konnte mit den Utensilien zwar umgehen. Aber bei feinmotorischen Tätigkeiten hatte er zwei linke Hände. Er stellte Abdrücke

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