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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Welt«, raunte Juliane mir zu.
    Hier wehten weder Staub noch Müll über das Pflaster. Alles war sauber gekehrt, der mächtige, symmetrisch angelegte Aufgang zur Kirche wurde von peinlich genau ausgerichteten und perfekt gepflegten Blumenrabatten gesäumt. Wir stiegen langsam die flachen Stufen hinauf. Sofort fiel uns der Wind an.
    »Heute haben wir wirklich einen schrecklichen Wind«, rief Isolde. Sie war ein paar Schritte voraus und schien es eilig zu haben, in den Schutz der riesigen Kirche einzulaufen.
    Ich konnte nur staunen: Sameba stand so gewaltig, so ausladend auf der Spitze des Hügels, als wartete die Kirche mit verschränkten Armen und ungeduldig klopfendem Fuß auf die Besucher. Kommt nur, kommt. Sehen wir mal, wie es mit eurem Seelenleben aussieht.
    Das viele Grün streichelte unsere Augen. Blumen, blühende Sträucher und ordentlich geschnittene Rasenflächen hatten sich rund um die Kirche versammelt, ein kleiner Teich mit einem Schwanenpaar beobachtete uns. Der gleißende, blaue Himmel dehnte sich noch ein bisschen höher, um uns eine Freude zu machen.
    »Haben Sie gehört?«, fragte Isolde angelegentlich. »In Island ist ein Vulkan ausgebrochen. Eine Aschewolke treibt auf Westeuropa zu.«
    Wir waren auf dem Plateau angekommen. Kurzatmig lehnte die Chorleiterin sich an die Balustrade und drehte sich um. Der Ausblick war atemberaubend. Ein strahlendes, glänzendes, lachendes Tbilissi winkte uns aus dem Tal zu. Die Bergkette gegenüber hatte sich einen funkelnden, frühlingsgrünen Schal umgelegt. Ganz oben gab der Fernsehturm den Blicken Audienz, am hellen Tag ganz ohne kitschiges Geglitzer. Man sah die Spur der Seilbahn, die durch den Wald schnurgerade aus der Stadt bis zum Gipfel des Mtatsminda führte.
    »Mein Gott!«, rief Juliane. »Das ist nicht nur der Süden, das ist …«
    »Ein Edelstein?«, half ich aus und schoss ein paar Bilder. Tatsächlich war ich Isolde dankbar, dass sie uns hierher geführt hatte.
    »Abgeschmackter Vergleich.«
    »Kein Vergleich, eine Metapher.«
    »Als ich mit Dolly hier war«, erzählte Juliane, »war die Seilbahn in Betrieb und auf dem Mtatsminda gab es ein Restaurant. Das war der Quader, den du dort siehst, ein schickes Teil, wo die Tbilisser ihre Sonntage verbrachten, mit Oma, Opa und Hund.«
    »Heute ist ein Vergnügungspark dort oben«, sagte Isolde. »Das Restaurant ist eine Baustelle. Nennen wir es Ruine. Als alles zusammenbrach, sammelten sich auf dem Mtatsminda Milizionäre und Soldaten. Das Gebäude wurde völlig zerschossen. Der Park war lange Jahre geschlossen.«
    »Sie sagten, Sie seien mit dem Chor hier aufgetreten«, kam ich zum Thema.
    »Das ergab sich so. Ein Fernsehteam wollte Filmaufnahmen machen und wir stellten die Kinder bei der kleinen Kapelle auf.«
    Was Isolde eine Kapelle nannte, hätte von der Größe her in einem bayerischen Dorf als Pfarrkirche durchgehen können.
    »Tolle Publicity!« Wir gingen langsam um die Kirche herum.
    »Natürlich, aber so etwas haben wir selten. In Georgien bekommen wir sonst nur Medienaufmerksamkeit, wenn Clara hier ist. Also einmal im Jahr.«
    »Sie sagen das so ironisch!«
    »Nein!« Erschrocken drehte Isolde sich zu mir um. »Nein, so meinte ich das nicht. Kommen Sie, besichtigen wir die Kirche.«
    Im Inneren von Sameba fühlte ich mich verloren. Zu hoch, zu gewaltig, zu kühl. Von allem zu viel.
    »Sie wissen, dass georgische Kirchen traditionell mit Fresken ausgestattet sind? Hier sind die Wände noch weiß. Der Putz muss trocknen, anschließend werden sie bemalt.«
    »Waren Sie in letzter Zeit mit dem Chor auf Reisen?«
    Isolde sank unterhalb einer Ikone der Muttergottes auf eine Sitzbank. Ich blieb stehen.
    »Haben Sie unsere Materialien nicht gelesen, die Thea Ihnen ins Hotel gebracht hat?«
    »Erzählen Sie es mir«, gab ich zurück. Abgekanzelt werden, das war mal.
    Isolde räusperte sich und strich sich mit den perfekt manikürten Fingern das Haar zurück. »Sehen Sie, wir möchten selbstverständlich nach Deutschland eingeladen werden. Das wäre der Höhepunkt. Dazu brauchen wir jemanden, der uns die Reise bezahlt.«
    »Warum hat Clara das bisher nicht arrangiert?«, fragte Juliane und setzte sich neben Isolde.
    »Auch eine Clara Cleveland ist nicht allmächtig.«
    »In Balnuri scheint man ihr so gut wie alles zuzutrauen«, wagte ich mich vor.
    Isolde zuckte die Achseln.
    »Man ist nicht mehr so stolz auf die berühmte Tochter, oder?« Ich beobachtete zwei Mädchen, die mit Reisigbesen über den

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