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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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und tranken an der Hotelbar ein Bier.
    »Wir müssen diese Kristin finden.« Juliane warf sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. »Clara pfeift ja auf der letzten Rille.«
    »Und wie? Durch Tbilissi laufen und ihren Namen rufen?«
    »Also wissen Se, nee! Gib mir mal dein Notebook.«
    Ich schleppte es nun immer mit mir herum, man konnte nie wissen. Dabei war nichts drauf. Nichts wovon ich mir vorstellen konnte, dass es jemanden so brennend interessierte, dass er uns nach Bordschomi folgte.
    Kauend suchte Juliane eine Verbindung ins Netz. Währenddessen blätterte ich durch die Unterlagen über den Chor, die Thea Wasadse im Hotel abgegeben hatte. Die Druckqualität dieses Flyers war höher, die Fotos schärfer, das Material schlicht teuerer. Inhaltlich gab es nichts Neues. Nur einen Spendenaufruf auf der Rückseite. Mit Bankverbindung. IBAN und BIC waren mit dem Vermerk angegeben, dass Auslandsüberweisungen nach Georgien kein Problem darstellten und dass die Geschäftsführung des Chores vorschlug, die Bankgebühren zwischen Empfänger und Spender zu teilen.
    »Na, wer sagt’s denn!« Juliane sah mich triumphierend an: »Die Dame, die wir suchen, heißt Kristin Rochelle und lebt in Seattle.«
    Ich guckte wie eine Kuh.
    »Kea, was ist los mit dir? Clara hat geschrieben, dass Kristin ein Institut für Autobiografisches Schreiben leitet. Ich habe schlicht gegoogelt.«
    »Und nun?«
    »Rufen wir im Hotel Wake an und lassen uns mit Mrs Rochelle verbinden.«
    »Hotel Wake?«
    »Sag mal, sind wir im gleichen Film?«
    Ohne Juliane würde diese Reise den Bach runtergehen, das war klar.
    Ich gab ihr mein Handy, auf dem sich inzwischen drei entgangene Anrufe von Lynn drängelten. Sollte die Agentur für die Telefonkosten bluten. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, ob ich jemals einen Artikel abgeben würde. Vielleicht würde eine ganz andere Geschichte draus. Irgendwo schien mein Leben von selbst eine vorherbestimmte Richtung eingeschlagen zu haben, indem es mich Ghostwriterin werden ließ. Ich geriet einfach immer wieder an die menschlichen Geschichten. Da war nichts Neutrales in meinen Gedanken, keine Beschreibungen, keine Fakten, keine Ereignisse. Sondern menschliche Seelen. Ihre Warums und Weshalbs und Wies. Clara hatte sich in meinen Gedanken in ein Geisterhaus verwandelt, in dem ich voller Eifer die dunklen Zimmer erkundete.
    Juliane fragte auf Russisch nach Kristin, und ich merkte, wie ihre Sprachkenntnisse sich lockerten und ihr ein diebisches Vergnügen machten. Ich wusste wenig über Julianes politische Einstellung, außer dass sie Sozialistin war. Ich wusste nichts von ihren Zweifeln und Fragen. Nur einmal waren sie hochgekommen, als ich einer Kundin aus der ehemaligen DDR die Autobiografie ghostete. Die Erkenntnis, dass die DDR ein verbrecherisches Regime gewesen war, war Juliane längst gedämmert. Doch die Erlebnisse meiner Klientin und all die Katastrophen, die im Gefolge dieser biografischen Arbeit passiert waren, hatten sie so strapaziert, dass sie barst wie ein alter Baum bei Blitzeinschlag. Georgien schien etwas von der alten Juliane an die Oberfläche zu spülen. Dabei war in Tbilissi von Sozialismus nicht einmal mehr etwas zu ahnen. Allenfalls die ungeheuerlichen Plattenbauten und architektonischen Dramen erinnerten an die sowjetische Zeit.
    »Sie trifft sich morgen Vormittag mit uns in einem Café an der Tschawtschawadse-Avenue«, verkündete Juliane und gab mir mein Handy zurück.
    »Ich probiere es bei Isolde«, sagte ich.
    Obwohl es fast elf Uhr nachts war, speiste mich ihre Sekretärin nicht mit Vertröstungen ab. Sie gab das Telefon sofort an ihre Chefin weiter.
    »Wir würden uns gern in Balnuri mit Ihnen treffen«, sagte ich, nachdem wir die Begrüßungsformalitäten hinter uns gebracht hatten.
    »Ich komme morgen ohnehin nach Tbilissi«, antwortete Isolde wie aus der Pistole geschossen. »Treffen wir uns in Ihrem Hotel? Am Nachmittag? Vier Uhr? Und gehen irgendwo essen?«
    »Warum nicht«, antwortete ich lahm. »In Balnuri hätte ich allerdings ein paar Fotos gemacht oder mit …«
    »Ich bringe Ihnen Presseaufnahmen mit. Bis morgen. Ich komme in Ihr Hotel. Sie sind im Mari, nicht wahr?«
    »Sie will uns unbedingt morgen in Tbilissi treffen«, erstattete ich Juliane Bericht. »Dann geben wir Sopo frei.«
    »Jep!« Juliane leerte ihr Bier und gähnte herzhaft. »Lass uns ins Bett gehen.«
     
    Das Taxi spuckte uns um 10 Uhr am Donnerstagmorgen in einer breiten Avenue aus, in der der Verkehr

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