Wernievergibt
Uniformierte Wächter betrachteten jeden Besucher aus traurigen Augen. Warum gucken die alle immer so melancholisch?, fragte ich mich. Wir gingen an dem zerstörten ehemaligen Restaurant vorbei. Dort wurde gebaut. Das Investment funktionierte.
Der Park war so hervorragend gepflegt, dass ich ihn zunächst für eine Theaterkulisse hielt. Schnurgerade, sauber geschnittene Buchsbaumhecken. Der Rasen exakt gemäht. Schicke, gewienerte Sitzbänke aus Holz mit schmiedeeisernen Verzierungen. Wir bogen hinter dem Ex-Restaurant nach rechts ab. Ich freute mich auf den Panoramablick, der sich uns bieten würde. Auch Juliane war jetzt mit einer Kamera bewaffnet. Einer digitalen Spiegelreflex. Ich war sprachlos.
»Guck nicht so. Du weißt, ich war mal Fotoreporterin.«
»Ist doch ewig her.«
»Zeit ist ein Riese«, orakelte Juliane. Über ein paar Stufen erreichten wir eine Aussichtsplattform hoch über der Stadt. Tbilissi machte sich für den Abend zurecht. Das Jaulen des Verkehrs drang gedämpft herauf. Wir konnten weit ins Land sehen. Über die nächste Bergkette hinweg und immer weiter brannten unsere Blicke Löcher in einen rauchigen Horizont.
»Mira ist tot«, sagte ich zum hundertsten Mal. »Ermordet? Oder hatte sie einen Unfall?«
»Natürlich wurde sie ermordet«, antwortete Juliane zum ebensovielten Mal. »Es wurde keine zweite Leiche entdeckt. Korrekt? Also landete sie allein in einem Wagen da unten im Canyon. Mal eine andere Frage: Würdest du in Georgien Auto fahren?«
»Warum nicht?«
»Es ist vollkommen unwahrscheinlich«, widersprach Juliane. »Kein Ausländer tut sich diesen irren Stress an. Die nehmen sich einen Wagen mit Fahrer. Ist ja schließlich nicht so teuer. Wo steckt Guga?«
»Wahrscheinlich im Verkehr.« Ich versuchte, die Rustaweli-Avenue von hier oben ausfindig zu machen. Das Opernhaus war zu erkennen, es lugte bunt gestreift, maurisch anmutend zwischen den anderen Gebäuden hervor.
»Zudem hat Beso gesagt, dass Mira aus dem Hotel abgeholt worden wäre. Nimm an, sie hat einen Fahrer gebucht, der sie nach Wardsia brachte. Für ihre Reportage.«
»Dass Mira Berglund plötzlich in Tourismus macht, ist mehr als unwahrscheinlich.«
»Nimm es nur mal an. Gedankenspiel.« Juliane justierte ihr Objektiv und lehnte sich weit über die steinerne Brüstung. »Der Typ ist gekauft und lenkt den Wagen in die Schlucht. Hopst vorher schnell raus. Hier schnallt sich keiner an. Wer sich nicht allzu dämlich anstellt, schafft das. Ruf Lynn an. Setze sie unter Druck! Sie muss rausrücken, was Mira hier wollte.«
»Aye, Sir«, sagte ich und zückte mein Handy. In Deutschland war es gerade mal kurz nach fünf. Ich hatte alle Zeit der Welt.
»Kea, na endlich. Bist du wieder kooperativ?« Ich hörte, wie Lynn eine Flasche Mineralwasser öffnete.
»Das gleiche frage ich dich. Mira Berglund war auf politischen Pfaden unterwegs.«
»Was?« Meine Agentin füllte ihr Glas und trank. »Verdammt Kea, was soll das denn werden?«
Ihre Stimme wurde schrill. Kein gutes Zeichen bei Lynn. Sie stand nicht nur unter Druck, die war schon so platt wie ein Manta.
»Mira Berglund ist politische Journalistin, Bloggerin und Aktivistin. Sie beobachtet vor allem die Krisenherde in der Ex-Sowjetunion. Das war leicht herauszufinden. Sie twittert im Internet.«
Stille. Ein Dutzend Studentinnen gesellte sich schäkernd zu uns an die Brüstung. Die Dämmerung zog Kreise durch den Himmel und stellte schüchtern einen Fuß neben uns.
»Lynn, hast du sie auf irgendwas angesetzt? Oder bist du ihre Tarnung?«
»Was ist mit Mira?«
»Sie ist tot.«
»Tot?« Lynn schrie dermaßen laut ins Telefon, dass ich mein Handy ein Stück vom Ohr weghielt und die Mädchen in meiner Nähe aufmerkten.
»In einem Wagen in eine Schlucht gestürzt und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.«
»Um Gottes willen.«
»Hast du dich eigentlich bemüht, sie zu finden?«, fragte ich biestig. »Oder hast du sie einfach abgeschrieben? Schließlich hattest du mich als Ersatz!«
»Quatsch, ich habe sie nicht abgeschrieben … Kea, ist das definitiv?«
»Ist es.«
»Pass bloß auf. Pass bloß auf!«
»Erklär dich mal ein bisschen genauer.« Ich entdeckte Guga. Er kam die Stufen herunter auf uns zu. Diesmal trug er Jeans zu seinem weißen Hemd. Ich stieß Juliane an, die ihre Kamera sinken ließ und ihn begrüßte.
»Sie hat mich vollgequatscht mit ihrem Kram«, legte Lynn los. »Sie wollte unbedingt nach Südossetien. Es gibt Berichte von ethnischen
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