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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Stuhl, ein Wasserkrug. Buchszweige vom Palmsonntag in einer Vase. Drei Ikonen. In der Ecke ein Paar Filzstiefel, in denen eine rote Fahne steckte.
    »Sie hat hier geschlafen und ich drüben auf dem Sofa. Sie hat geweint und geheult in den Nächten. Nach der siebten Nacht war Ruhe. Ich habe ihr Alkohol gegeben, damit sie die Schmerzen aushält.«
    »Wann ist sie fortgegangen?«, fragte Guga atemlos.
    »Gestern.«
    Guga hätte sich in den Hintern beißen können. Er war ganz dicht an Clara Cleveland dran – und hatte sie verpasst!
    »Haben Sie sie erkannt?«, wiederholte er seine Frage.
    »Junge. Du bist Polizist. Ich bin Guram. Ich habe sie erkannt. Ich habe sehr schnell gesehen, was mit ihr los ist. Ein verlorenes Seelchen. Sie hat nur eine Chance zur Heilung. Das habe ich ihr gesagt, aber sie hat es von selbst gespürt.«
    »Was meinen Sie?«
    »Das werde ich dir bestimmt nicht sagen.«
    Guga schluckte seine Enttäuschung hinunter. Er war so sicher gewesen, den Alten richtig angefasst zu haben. »War sie schwer verletzt?«
    »Schleudertrauma, geprellte Rippen, ein paar Platzwunden und Schnitte im Gesicht. Nichts Schlimmes, nur schmerzhaft. Viel entgegenzusetzen hat sie nicht. Zu schwach, auch in der Seele.«
    »Hatte sie Gepäck?«
    »Was denkst du denn? Dass sie mit drei Koffern den Berg raufgekrabbelt ist?« Gurams Brustkorb wollte vor Lachen bersten.
    »Wann ist sie gekommen?«
    »Mitten in der Nacht. Nass wie eine Kanalratte. Unterkühlt, winselnd.«
    »Zwischen dem 30. und dem 31. März?«
    »Kann schon so gewesen sein.«
    »War sie verwirrt?«
    »Mein Junge, dieses Mädchen war sein ganzes Leben verwirrt. Hat alles getan, um klar zu sehen. Es hat nichts geholfen. Sie hat sich immer tiefer in etwas verstrickt. Ruhm. Ehre. Erfolg. Der Nebel wurde immer dichter.«
    »Ich meine, ob sie, als sie bei Ihnen ankam, wusste, was passiert war. Dass sie einen Unfall hatte.«
    »Ja, sie ist ja nicht dämlich, Mann!« Guram lotste Guga aus seinem Schlafzimmer. »Entweder du trinkst jetzt noch ein Glas, oder ich schicke dich nach Hause zu deiner Frau.«
    »Ich habe keine Frau.«
    »Dann hör auf zu saufen, damit du eine findest!«
    Guga schwoll der Kamm. »Wo ist sie hin?«, fragte er.
    »Kleiner, du hast eine Menge Grips im Kopf. Du wirst es herausfinden. Wenn es sein soll. Von mir wirst du es nicht erfahren.«
    Das konnte nicht wahr sein! Der Alte spielte ihn glatt an die Wand. Aber Guga würde das rauskriegen. Er würde im Dorf fragen. Wie hätte Clara von hier wegkommen sollen, wenn nicht mit der Marschrutka. Das wäre schnell ermittelt. Der Wolf war vom Sofa gesprungen und verfolgte aufmerksam, wie Guga ans Fenster trat und hinaussah. Draußen wurde es dämmrig. Es regnete wieder. Die Apfelbäume hinter dem Haus ließen die Zweige hängen. Neben dem Holzstoß an der Scheunenmauer standen zwei Satellitenschüsseln.
    »Nun zieh endlich Leine!«
    »Danke jedenfalls«, versuchte Guga höflich zu sein.
    »Ja, ja.«
     
    Wieder im Streifenwagen, nahm Guga sein Handy und wählte die Nummer, die die deutsche Frau mit den Männerkleidern ihm gegeben hatte.

30
    »Woher wusstest du, dass sie ein Kind hat?«, fragte ich, nachdem wir unser köstliches Mal beendet hatten und uns das nötige Nikotin in den Kopf saugten. Mich beschlich das Gefühl, dass ich wieder in einen Zustand der Idiotie geraten war, wie ganz am Anfang unserer Reise. Dabei hatte ich zwischendurch den Eindruck gehabt, endlich erwachsen geworden zu sein.
    »Erinnerst du dich an den Abend im Goethe-Institut? Nach dem Auftritt des Chores gab Isolde sich die Ehre. Wir hockten zusammen und redeten, als ein kleiner Junge angelaufen kam. Blass. Müde. Sie hat ihn dermaßen zusammengestaucht – er konnte nur ihr Kind sein. Mit einem fremden Kind hätte sie sich das nicht erlaubt.«
    Ich dachte darüber nach. Der Gedanke war so vernichtend, dass mir Gänsehaut über die Arme lief. Ich dachte an Frau Laverde senior. Nicht an Oma Laverde und ihren Fluchtrucksack. Sondern an meine Mutter. Derartige gedankliche Abschweifungen endeten zumeist unerquicklich.
    »Was wissen wir jetzt, was wir vorher nicht wussten?«, fragte ich.
    Juliane drückte ihre Kippe aus. Sofort kam ein Kellner und wechselte den Aschenbecher. »Wir wissen drei Dinge. Erstens: Isolde kann Clara nicht ertragen, denn Clara ist erfolgreich und berühmt, während Isolde ehrenamtlich einen Chor leitet und dabei verhungert. Finanziell und intellektuell. Zweitens: Sie hat einen Sohn, den will sie fördern.

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