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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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zerlegen?« Die beiden mussten nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.
    »Vielleicht nicht, um einen Unfall zu bauen. Sondern um zu ihrer Freundin zu fahren.«
    »Wenn sie zu Tamara gewollt hätte, warum hing sie dann ewig bei diesem Tierarzt herum? Ohne Tamara anzurufen?«, fragte ich gereizt. »Angeblich war sie so etwas wie eine Ersatzmutter.«
    »Clara könnte ihr Gedächtnis verloren haben«, mutmaßte Juliane.
    »Nein«, mischte Guga sich ein, bevor wir aufeinander losgehen konnten. »Ich denke, Frau Laverde ist auf der richtigen Spur. Clara Cleveland hat den Unfall absichtlich herbeigeführt.«
    Diese Wendung musste er in einem Wörterbuch nachgeschlagen haben. Nero hätte das genauso gesagt.
    »Was spricht dafür?«, fragte Juliane.
    »Haben Sie das Tagebuch nicht gelesen? Ich hatte Ihnen die Kopien gegeben!« Guga blickte vorwurfsvoll erst Juliane, danach mich an.
    »Ja, nur noch nicht ganz«, gab ich zu und fühlte mich klein und unansehnlich wie eine Schildkröte.

32
    Jetzt ist es raus. Ich kann nicht mehr. Diesen Satz schreibe ich jetzt einfach hin. Ich kann nicht mehr. Immerzu könnte ich ihn schreiben, Zeile für Zeile, bis dieses Heft gefüllt ist. Es liegt nicht an dem Konzert. Das Konzert lief ausnehmend gut, unerwartet nach den kurzen und chaotischen Proben. Isolde hat die Kinder im Griff. Sie haben hart gearbeitet und alles gegeben. Das klingt allumfassend. Ich sage lieber, sie haben gegeben, was sie geben konnten. So einfach ist es nicht für sie. Isolde ist zu statisch. Sie steht auf Disziplin und Technik, und beides ist wichtig, aber das Spielerische der Kunst fehlt völlig in diesem Chor. Sie spulen ihr Programm ab, laut, leise, hoch, tief, hell, dunkel, schnell, langsam. Es ist wie in einem theoretischen Werk über Chormusik.
    Ich habe Isolde vorsichtig darauf angesprochen. Sie fegte wie ein Wüstenwind über mich hinweg. Du lebst nicht hier, du weißt nicht, wie wir leben. Was wir ertragen. Du kannst dir das gar nicht vorstellen.
    Ich wollte sagen, Isolde, ich bin nicht blind, ich bin nicht taub. Wollte sagen, dass mein Herz für dieses Land schlägt. Dass ich es brauche, seine Wärme, die Tiefe seiner Gefühle. Ich habe nichts gesagt. Ich ging in meine Garderobe, um mich umzuziehen. Kaum war ich fertig, schlich Tedo herein. Er ist ein süßer, kleiner Kerl, der gern mit seinen Händen auf allem Möglichen herumtrommelt. Isolde richtet ihn ab, indem sie ihn stundenlang ans Klavier setzt. Begabt oder nicht, wenn sie so weitermacht, wird sie die Musik für ihn verderben. Wahrscheinlich steckt in ihm eher ein Schlagzeuger, der seinen Weg in einer Metalband machen wird, als ein Pianist! Tedo kam also rein und wir unterhielten uns ein bisschen. Ich nahm ihn auf den Schoß. Er war müde. Er ist ständig übermüdet und quengelig, weil Isolde ihn zu den Konzerten mitnimmt und er bis spät am Abend keinen Schlaf findet. Bei seinem Vater, dem cholerischen Armleuchter, kann sie ihn nicht lassen. Ich weiß, dass Isolde es nicht leicht hat. Dieser Mann ist eine Charakterprüfung. Ganz bestimmt gibt er Isolde keine Liebe, nicht einmal Respekt oder Fairness. Immerhin hat sie ein Kind, dem sie Zuneigung geben könnte. Doch Tedo ist für sie ein kleiner Erwachsener. Ein Investmentprodukt. Sie pumpt Geld in seine Ausbildung. Er soll funktionieren, eine Jukebox von zarten fünf Jahren.
    Tedo klopfte ein bisschen auf meinen Schminksachen herum, spielte mit meinem Kleid und saß danach einfach auf meinem Schoss, während ich mir die Haare machte. Er kuschelte sich an mich. Ich genoss es. Er schlief ein. Ich saß ganz still da, um ihn nicht zu wecken. Ich dachte, wenn er tief genug schläft, legen wir ihn ins Auto und fahren ihn direkt ins Hotel, ins Bett.
    Isolde kam rein. Wie üblich, ohne zu klopfen. Sie knallt mit den Fingerknöcheln kurz an die Tür und steht sofort mitten im Raum. Ich habe bisher nie was gesagt. Dieses eine Mal konnte ich plötzlich nicht mehr an mich halten.
    Ich fuhr sie an. Leise, damit das Kind nicht aufwacht. Mach nicht so einen Lärm, siehst du nicht, wie müde dein Tedo ist?
    Sie flippte aus. Lass meinen Sohn in Ruhe. Wenn du ein Kind brauchst, such dir einen Mann, der dir eins macht. Allerdings ist deine Karriere dann beendet. Sie sagte eine Menge mehr. Zischte, wütete, schrie. Tedo erschrak, fuhr hoch und begann zu weinen. Isolde riss ihn von meinem Schoß und er weinte noch heftiger und streckte die Arme nach mir aus. Da begann ich beinahe zu heulen. Nur innerlich. Ich

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