Wernievergibt
beschloss, Isolde keine Blöße zu zeigen. Stieß meinen Stuhl weg und sagte: Du weißt ja nicht, was du hast. Und was du tust, das weißt du auch nicht. Ich nahm meine Handtasche und ging. Isolde brüllte irgendwas hinter mir her von einer Journalistin. Mich ging das nichts mehr an.
Ich trat hinaus auf die Straße, stand ein paar Minuten in der kühlen Nacht, fror ein bisschen. Ich achtete nicht darauf.
Über mir sah ich die Lichter in dem amerikanischen Restaurant und dachte, das ist es. Da gehe ich hin.
Da waren Kinder mit ihren Familien, und die Kinder hatten Ketchupfinger und verschmierte Münder und waren zufrieden. Außerdem hing ziemlich viel junges Volk da herum und hatte Spaß. Ganz normale Leute, die einfach zum Vergnügen ausgingen, ohne beständig an die Publicity zu denken und alles zu hinterfragen oder darüber zu diskutieren, wie das eigene Leben zu optimieren wäre. (Ja, Kristin, da würdest du wieder lachen und mich ›Miss Perfect‹ nennen!)
Ich ging an die Theke und bestellte mir einen Rotwein. Dann kam ein Mann, der gut aussah, und für einen Moment dachte ich an meinen Zyklus und ob eine gute Zeit wäre, um sich ein Kind machen zu lassen. Es hätte hinhauen können. Ich hätte diesen Mann verführen können. Wir unterhielten uns, hatten Spaß. In Jeans und Pulli hätte ich besser in das Restaurant gepasst. Ich fühlte mich trotzdem ganz o. k. im Kostüm. Er machte Bilder von mir und erkannte mich wohl, fragte aber nichts. Kein: Sie sind doch Clara Cleveland, wie schön, dass ich Sie mal kennenlerne, würden Sie mir ein Autogramm geben, es ist nicht für mich, für meine Schwiegermutter, wissen Sie, die bewundert Ihre Stimme ja so!
Ich bin nichts als Stimme, nichts als eine Stimme zum Bewundern für Schwiegermütter. In dem Moment wäre ich mit dem Mann ins Bett. Er sah gut aus und spendierte mir noch einen Wein. Wir knabberten Erdnüsse. Bis Isolde kam und mir das Date verdarb.
Ich ließ mich von ihr wegschleppen. All meine Energie verpuffte in dem Augenblick, als ich sie in das Lokal schreiten sah. Hoch aufgerichtet, bereit zu jeder Demütigung, zu jeder dreckigen Bemerkung, wenn sie nur ihrer Sache diente.
Wir gingen ins Marco Polo, mit einer Journalistin. Sie war nett wollte nur das Übliche von mir. Als wir uns trennten, fragte sie mich: Können wir uns mal alleine treffen, ohne die Damen von der Zensur? Ich musste lachen. Sie wird mich anrufen. Aber ich werde vielleicht nicht mehr da sein.
Ich werde mir morgen ein Auto organisieren. Ich weiß, wen ich fragen muss. Auch die Diva kann mit dem echten Leben umgehen. Ich werde Tamara anrufen. Und dann sehen wir mal.
Ich kann nicht mehr.
Guga war längst gegangen. Er hätte eine Verabredung. Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte. Vielleicht gab er nur an.
»Sie wollte aussteigen«, sagte Juliane. »Hat einen Weg gesucht und ihn gefunden.«
»Glaubst du, dass sie den Unfall absichtlich herbeigeführt hat?«
»Klingt irgendwie logisch.« Juliane zog an ihrer Zigarette. Sie sah im Halbdunkel des Restaurants aus wie Edith Piaf im hohen Alter ausgesehen hätte, wäre sie nicht mit viel zu jungen 48 von der großen Bühne abgetreten. Genauso zart, genauso herausfordernd. Ein Typ vom Nebentisch mit asiatischen Gesichtszügen sah gierig zu ihr herüber.
Ich hatte der gewagten Unfallthese nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Mir fiel nichts anderes ein, was genauso plausibel geklungen hätte. Eine sehr erfolgreiche Frau war an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit gekommen und sah keinen anderen Ausweg, als auszusteigen. Auf so unkonventionelle Weise, dass es ihr keiner zutrauen würde.
»Die eigenen Grenzen ernst zu nehmen ist die Grundlage der mentalen Gesundheit«, belehrte mich Juliane.
Da war mehr dran, als ich im Augenblick ertragen konnte. Ich war auf meine Weise auch erfolgreich. Nicht so berühmt wie Clara, jedoch gut in meinem Job. Ich konnte von meiner Arbeit prima leben, und ich wurde weiterempfohlen. Ich war nur ein Geist. Niemand wollte Autogramme von mir. Die gaben meine Kunden. Die Stars und Experten, deren Ratgeber und Biografien ich schrieb. Das war mir nur recht so. Ich blieb unsichtbar.
»Isolde«, sagte ich langsam, »steht im Hintergrund und kann es nicht ertragen.«
»Sie kann sich selbst nicht vergeben, nicht so erfolgreich zu sein wie Clara!« Juliane schnitt dem Kerl, der sie begaffte, eine Grimasse. »Ihre diffusen Schuldgefühle überträgt sie auf ihre Familie. Ihr liebloser Mann ist latent
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