Wernievergibt
an ihrem Wein.
»Natürlich ist sie sehr begabt und fleißig. Sie hatte bei mir Klavierstunden. Ich erkannte schnell, dass ihr eigentliches Talent der Gesang war. Ihr Fleiß hat sie auf die Bühnen Europas gebracht. Ihr Fleiß und ihr Ehrgeiz haben sie von allen anderen Kindern unterschieden, die wahrscheinlich so weit wie Clara gekommen wären. Wenn sie sich ein bisschen mehr angestrengt hätten. Nehmen wir nur meine Tochter Sonia. Sie singt wie eine Lerche, ist aber so faul, dass sie in Jacken ohne Knöpfe herumläuft, weil sie sich nicht aufraffen kann, sie anzunähen.«
Aha, dachte ich. Lias Tochter als verkappter Star.
»Es ist klar, dass Clara in Deutschland die Ausbildung bekam, die sie brauchte, um eine der Großen der Opernbühne zu werden. Deswegen waren wir Musikfreunde sehr dafür, dass ihre Mutter mit ihr ausreiste. Lediglich ihre Großmutter war dagegen.«
Ich hielt den Atem an.
»Warum?«, fragte ich so beiläufig wie möglich. »Wollte sie Clara nicht fördern?«
»Medea ist ein eigensinniges Weibsbild gewesen!« Lia trank mehr Wein. Ihr blasses Gesicht rötete sich leicht. »Liebte Clara abgöttisch. Deswegen wollte sie sie nicht hergeben. Wollte einfach verhindern, dass das Mädchen ausreist und eine bessere Zukunft bekommt.«
»Was heißt das, sie wollte es verhindern?«
Lia blickte mich scharf an. »Rennt umher und quatscht alle möglichen Leute an und sucht Kontakt zu den Kadern, die über die Ausreise zu entscheiden haben. Damals konnte man nicht einfach zum Flughafen fahren, durch die Passkontrolle schreiten und abfliegen.«
»Das kann man heute auch nicht«, ließ sich Juliane vernehmen. »Man braucht ein Visum.«
In Lias Gesicht leuchtete etwas auf, was wie Respekt aussah. Vielleicht war es auch Vorsicht. Ich bat meinen Atem, seinen Rhythmus ein klein wenig gleichmäßiger zu trommeln.
»Da haben Sie recht«, gab Lia gereizt zu. »Georgier sind in der westlichen Welt nicht willkommen. Wir sind ja alle gefährliche Sozialschmarotzer.«
»Heißt das, Claras Großmutter wollte verhindern, dass Tochter und Enkelin ein Ausreisevisum bekommen?«, fragte ich behutsam.
»Was sollte es sonst heißen! Medea wollte Clara für sich behalten. Ihrer Tochter stand sie nie nahe. Die Enkelin jedoch, die war ihr größter Schatz, und einen Schatz gibt eine wie Medea nicht her.«
»Dennoch hatten ihre Ränkespiele keinen Erfolg.« Meine Finger krallten sich um meine Knie.
»Richtig. Ein paar Freunde, die dem Chor und Clara nahestanden, haben Wind von Medeas Intrigen bekommen. Medea wurde isoliert, die Missverständnisse bereinigt, und wenige Wochen später verließen Clara und ihre Mutter das Land. Es dauerte nicht lang, und Medea ging in die Berge. Möge ihr Kadaver dort verrottet sein.«
Ich sah Juliane an. Sie erwiderte meinen Blick nur kurz, dann entschuldigte sie sich und fragte nach der Toilette.
»Geht es Ihrer Freundin nicht gut?«, erkundigte sich Lia teilnahmslos.
»Sie leidet an Asthma und nimmt starke Medikamente.« Ich grinste innerlich. Juliane nahm nie Tabletten.
»Schlimme Sache.«
»Sie sind sicher, dass Medea gestorben ist?«
»Ansonsten hätte man von ihr gehört. Georgien ist ein kleines Land. Hier kann man nicht abtauchen, ohne dass irgendwann jemand die Spur wittert.«
»Für Sie, ich meine, für die Musikfreunde rund um den Chor«, machte ich weiter, »war es natürlich eine gute Sache, dass Clara in Deutschland ausgebildet wurde.« Ich nahm das letzte Chinkali von der Platte.
»Sicher. Unser Chor bekommt auf diese Weise Aufmerksamkeit und Geld.«
»Clara finanziert den Chor?«
»Nun, sie finanzierte ihn. Präteritum.«
»Wie – schießt sie nichts mehr zu?«
»Seit September stehen wir in den roten Zahlen«, erregte sich Lia, »und die glanzvolle Diva denkt nicht daran, auszuhelfen.«
»Der Chor hat Schulden?«
»Leider ja.«
Ich versuchte zu überschlagen, welche Ausgaben ein solcher Chor hatte, wenn die Leiterin ehrenamtlich arbeitete und die Sekretärin einen symbolischen Betrag ausgezahlt bekam.
»Der größte Posten ist die musikalische Ausbildung der Kinder. Wir schicken einige zu Sommerschulen nach Deutschland.«
»Haben Sie keine Sponsoren?«
Lia nickte grüblerisch. »Clara sorgte dafür, dass sich immer wieder ein paar reiche Leute für den Chor interessierten.«
»Die Geldgeber brechen weg?«
»Wie gesagt: Wir können nicht mehr, die Kassen sind leer, und Clara denkt lieber an ihr Image als an uns.«
Das war es also. Ich lehnte mich
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