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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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als habe man ihn an eine Steckdose angeschlossen. Der Straßenstaub attackierte meine Augen. Ich kniff die Lider zusammen. Sobald ich wieder aufblickte, sah ich Giorgi: Er hetzte im Zickzack, wie ein bekiffter Hase, über die Avenue, verfolgt von wie irre hupenden Karossen, die genau auf ihn zuhielten.

34
    Guram hatte in der Roten Armee in Afghanistan gekämpft. Diese Phase seines Lebens hatte er gut verkapselt irgendwo in seinem Inneren aufbewahrt. Eine Schatulle für die Perlen der Grausamkeit. Wenigstens eines hatte die Zeit am Hindukusch gebracht: Er wusste, wie man überlebte. Er spürte Gefahren, bevor sie ihn überrollten. Vielleicht roch er sie. Im Krieg hatte er mehrmals Kameraden in letzter Sekunde gewarnt. Der Respekt war ihm sicher, sogar der seiner Vorgesetzten. Er hätte es in der Armee zu etwas bringen können.
    Als Guram gegen zehn von einem Bauern zurückkam, dessen Kuh einen Angelhaken gefressen und fast daran krepiert wäre, rief er die Hunde zu sich. Sie bellten und hechelten und sprangen an ihm hoch. Er mahnte sie, leise zu sein, und sie gehorchten. Guram nahm das Gewehr aus dem Schrank, lud es und öffnete die Hintertür.
    Der Polizist war zwar kein dummer Kerl, doch seine Fragerei im Dorf hatte für Unruhe gesorgt. Manche sahen Guram mit neuem Argwohn an. Weil er alt war und den Arzt ersetzte, wenn die Leute Nierenkoliken hatten oder Gallensteine oder einen Hexenschuss, gaben sie ihm einen Vertrauensvorschuss. Man achtete ihn, vorsichtshalber. Die Leute hier waren nicht besonders klug. Das lag an der Inzucht. Guram predigte den Männern seit Jahren, ihre Seitensprünge drei Dörfer weiter auszuleben. Mindestens.
    Nicht wegen der Frauen. Frauen waren Guram gleichgültig. Die wenigsten Ehen zerbrachen an den Affären. Außerdem waren Ehen unwichtig. Entscheidend waren Kinder. Guram ging es um die Bastarde. Im Dorf heirateten Brüder ihre Halbschwestern und Cousinen ihre Cousins. Sie wussten ja nicht, dass sie verwandt waren, hatten keine Ahnung, dass sie Kuckuckskinder waren, in einem Nest abgelegt, in das sie nicht gehörten. Mindestens zwei, drei solche Eheschließungen gab es pro Jahr. Die Familienlinien umschlangen einander wie Nattern. Unmöglich, über Generationen den Überblick zu behalten.
    Guram hatte sich eine Frau in Tuschetien gesucht. Die Ehe war in die Brüche gegangen, aber wenigstens waren seine Kinder keine Tölpel.
    Obwohl die Leute ihn respektierten, redeten sie untereinander, und Wörter fanden immer den Weg nach draußen. Wörter waren wie die Schwalben, die ihre Nester mit Vorliebe in Gurams Scheune bauten. Sie brachen aus, verteilten sich, hinterließen flüchtige Schatten. Genug, um Leute hierherzulenken. Leute mit neuen Fragen oder dummen Absichten.
    Guram warf sich das Gewehr über die Schulter und verließ das Haus. Er sperrte nie zu. Es gab keinen Grund dafür. Im Haus gab es nichts, was es wert war, gestohlen zu werden. Die Hunde folgten ihm aufmerksam. Sie waren klug. Tiere verstanden etwas von den unmittelbaren Dingen des Lebens. Sie wussten Bescheid über Sterben und Leben. Ihre Instinkte funktionierten, und das begeisterte Guram. Deshalb hatte er seinen Beruf gewählt. Weil er von den Instinkten der Tiere lernen wollte. Von kranken Tieren, die ihm nicht mit Worten sagen konnten, worin ihr Leiden bestand. Die dennoch eine Sprache besaßen. Und Guram lernte.
    Das Grüppchen stieg hinauf zu den Apfelbäumen, die dicht an dicht im hohen Gras am Hang hinter der Scheune wuchsen. Guram hieß die Hunde sich hinlegen.
    Er selbst hockte sich ins Gras und wartete. Das war leicht. Von vielem hatte er im Übermaß. Seine Geduld überstieg alle seine sonstigen Talente.
    Zwei Stunden später, als die Mittagssonne heiß brannte und die Hunde ihren Durst am Bach weiter oben am Hang gestillt hatten, um sich sofort wieder neben Guram zu legen, kam der Wagen den Weg hinauf. Kein Geländewagen, sondern einer, der sich quälte. Der Tierarzt ging in die Hocke und hielt das Gewehr locker im Anschlag.
    Der Wagen erreichte seinen Hof. Ein Mann stieg aus, einer mit einer schwarzen Mütze, einer Jeansjacke. Er ließ den Autoschlüssel an einer Kette in der Hand tanzen.
    Guram legte an.
    Der Mann ging arglos zur Scheune und rief. Neben Guram wurden die Hunde nervös. Er flüsterte scharf. Sie legten sich hin, drückten die Schnauzen auf die Erde.
    Ohne Hast schritt der Fremde auf die Hintertür zu Gurams Haus zu. Er rief ein weiteres Mal und legte die Hand auf die Klinke.
    Guram drückte

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