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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Menschen, die etwas Großes, etwas Unmöglichscheinendes wirkten, von jeher fürTrunkene undWahnsinnige ausschreien mußte.
    Wollte ich das Fieber meinerVerwandlung gar verherrlichen, veredeln, indem ich mich zu einem Großen,Außerordentlichen stilisierte, der ich nicht bin? Im Gegenteil, nicht hohes Menschentum regiert in mir, sondern das niedrigsteTier, mit ihm aber auch eine Kraft und Urgewalt, die durchVernunft nicht zu besiegen ist, von der alle Bürgermoral zernichtet werden muß.
    – Das sind nun wieder von deinen Grillen, sagteAlbert ungerührt, du überspannst alles, und hast wenigstens hier unrecht, daß du den Selbstmord mit großen Handlungen vergleichst: da man es doch für nichts anderes als Schwäche halten kann. Freilich ist es leichter, zu sterben, als ein qualvolles Leben standhaft zu ertragen.
    Ich war im Begriff abzubrechen, zu sehr ergrimmte mich seine laue Selbstgerechtigkeit. Dieser soll Lotten haben! dachte ich, und ein innerliches Fletschen und Geifern befiel mich.
    – Laß uns ergründen, ob wir uns vorstellen können, sagte ich schließlich, wie einem Menschen zumute ist, der sich entschließt, die sonst angenehme Bürde des Lebens abzuwerfen. Die menschliche Natur hat ihre Grenzen, sie kann Freude, Leid, Schmerz bis auf einen gewissen Grad ertragen und geht zugrunde, sobald derüberstiegen ist. Hier ist nicht die Frage, ob einer schwach oder stark ist, sondern ob er das Maß seines Leidens ausdauern kann oder sich in tiefer Erkenntnis des Unmöglichen ihm lieber entzieht.
    – Paradox, sehr paradox! riefAlbert aus.
    – Im Gegenteil! Mir fiel das Beispiel von dem Mädchen bei, das man vor weniger Zeit tot aus demWasser gezogen, ein junges Geschöpf, das im engen Kreis häuslicher Beschäftigung herangewachsen war, weiter keineAussicht vonVergnügen kannte, als etwa sonntags mit ihresgleichen spazierenzugehen, vielleicht alle hohen Feste einmal zu tanzen, und manche Stunde über denAnlaß eines Gezänkes mit einer Nachbarin zu verplaudern. Deren feurige Natur fühlt nun innigere Bedürfnisse, die durch die Schmeicheleien der Männer vermehrt werden, ihre vorigen Freuden werden ihr nach und nach unschmackhaft, bis sie endlich einen Menschen trifft, zu dem ein unbekanntes Gefühl sie unwiderstehlich hinreißt, auf den sie all ihre Hoffnungen wirft, dieWelt rings um sich vergißt, nichts hört, nichts sieht, nichts fühlt als ihn, sich nur sehnt nach ihm, dem Einzigen. Ich sah, während ich’s sagte, nachAlbert hin, ob das Gleichnis eine Saite desVerstehens in ihm anschlage, doch der unheilbar brave Mensch nickte vernünftig, als ob ich vomAllgemeinsten fabulierte.
    – Sie will die Seinige werden, führte ich mein Exempel fort, will all das Glück antreffen, das ihr mangelt, die Vereinigung aller Freuden genießen. Wiederholtes Versprechen, kühne Liebkosungen, die ihre Begierden vermehren, umfangen ganz ihre Seele, sie schwebt in einem dumpfen Vorgefühl aller Freuden, ist bis auf den höchsten Grad gespannt, streckt ihre Arme aus – und der Geliebte verläßt sie. Erstarrt, ohne Sinne, steht sie vor einem Abgrund; alles ist Finsternis um sie her, keine Aussicht, kein Trost, keine Ahnung! denn der hat sie verlassen, in dem sie allein ihr Dasein fühlte.
    Ich kann dir sagen,Wilhelm, mir selbst zuhörend, überkam mich das widerlichste Selbstmitleid, das ich, unmannhaft, an mir sonst nicht kenne, das mir aber nichtsdestoweniger das Naß insAuge trieb. – Das Mädchen, fuhr ich tränenerstickt fort, sieht nicht die weiteWelt, die vor ihr liegt, nicht die vielen, die ihr denVerlust ersetzen könnten, sie fühlt sich verlassen von allen, und blind, in die Enge gepreßt von der entsetzlichen Not ihres Herzens, wirft sie sich hinunter, um in einem rings umfangendenTode ihre Qualen zu ersticken.
    Damit stürzte ich aufAlbert zu, der nicht begriff, wie ihm geschah. – Manchmal findet die Natur keinenAusweg aus dem Labyrinth der verworrenen, sich widersprechenden Kräfte, schrie ich und wünschte, er möge in mich hineinsehen! – Dann muß der Mensch, dann muß er sterben! Mit diesemWort riß ich die Pistole an mich, sagteAlbert den flüchtigstenAbschiedsgruß und stürzte aus dem Haus. – –
    Nachdem ich meinen Zwiespalt, zwar gleichnishaft verschleiert, offenbart und, bis insTiefste aufgewühlt, ins Gebirge geritten war, wobei ich Nero mitführte, erreichte ich die Hütte, in der ich früher schon genächtiget, und von der aus ich Dir nun schreibe. Ein gutes Feuer, dieAugen des

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