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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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trinken – dahin, vorbei!
    Es hat sich vor meiner Seele einVorhang weggezogen, der Schauplatz des unendlichen Lebens wandelt sich in denAbgrund des ewig offenen Grabes. Kannst du denn sagen: Das ist! da alles vorübergeht? Da ist keinAugenblick, in dem ich selbst nicht ein Zerstörer bin: ein harmloser Spaziergang kostet hundertWürmern das Leben, ein Fußtritt zerrüttet das mühselige Gebäude derAmeisen. Ein Zerstörer, erschlag ich die summende Hummel auf meinem Hemd, trete die Raupe tot, werde zum Raubtier, das nicht tötet sich zu nähren, nur seine Lust anstachelt, weil es ihm Macht über anderes Leben gibt.
    Ich weiß nicht mit Bestimmtheit, was ich in gewachten Nächten, verträumtenTagen im Gebirge alles vollführt und angestellt. Riß ich wirklich einen Fisch aus dem Bachbett, indem ich mich mit aufgerissenem Mund insWasser stürzte? Haschte ich denVogel im Flug, zog ich die Lerche springend herab und verschlang dasTier samt dem Gefieder? Folgte ich der Fährte des schnellstenWildes, stellte und packte ich es, fraß es auf, da es noch lebte, war ich derjenige, der das Reh in jenen Zustand versetzte, in dem sich nach mir die Maden an ihm gütlich taten? Ich weiß es nicht, Bruder, weiß nur, die Natur vollführt an mir ein grausiges Schauspiel, geängstiget taumle ich über die Erde und bin nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer.
    Umsonst streck ich nach ihr dieArme aus, wenn ich aus schweremTraum hochdämmere, suche vergebens nach ihr nachts in meinem Bett oder imWald, wenn mich ein unzüchtigerTraum getäuscht hat, wenn ich sie nackt neben mir wähnte und mit tausend Küssen bedeckte, wenn meine Zunge ihr ein Schaudern nach dem andern durch den Körper jagte.Wenn ich, noch halb imTaumel desTrugbilds, nach ihr tappe und nichts finde, bricht kein Strom vonTränen aus meinem Herzen, wie es früher wohl geschehen wäre, unbändiges Heulen, das Gejaul desWolfes schicke ich himmelwärts und heule trostlos in die Finsternis.
    Darum bin ich entschlossen. Morgen schon will ich aufsatteln und zu ihr zurückreiten,Wilhelm, zurück in mein Unglück, zurück zu Lottchen!

Am 6. Juni.
    Ich fühl’s an ihr, daß sie mich ungern verlöre.
    Heute, vom Gebirg zurückgekehrt, ging ich zum Jagdhaus hin, unter demVorwand, wie jüngst versprochen, Lottens Klavier zu stimmen. Ich kam nicht dazu, da die Kleinen mich um ein Märchen verfolgten, und Lotte, die mich mit unverstellter Freude begrüßt, sagte selbst, ich soll ihnen denWillen tun.Während ich dasAbendbrot schnitt, das sie fast so gern von mir als von der Schwester nehmen, während ich hinter gesenktenWimpern beobachtete, wie Lottchen mich mit züchtigem Lächeln ansah, erzählte ich den Kleinen das Hauptstück von der Prinzessin, die dreiVerehrer aussendet, drei Rätsel für sie zu lösen. In meinerAuslegung eine grausame Königstochter, die zwei der Prinzen in den sicherenTod schickt. Ich fabulierte, mit dem Rücken zu Lotte gewandt, der dies inWahrheit galt, wie die Prinzessin, obwohl sie in ihrem Herzen denAbgesandten des ärmsten Königreichs, einen hochfahrenden Burschen erwählt hat, zum Schein die wohlbestallten Königssöhne vorzieht, und ließ nicht wenig Spott über die Prinzessin in meineWorte fließen. Indes, solche Nuancen entgingen den Kindern. Ich war erstaunt, was auf sie Eindruck machte, und lernte viel dabei:Weil ich manchmal einen Inzidentpunkt erfinden mußte, den ich beim zweiten Mal vergessen, sagten sie gleich, das vorige Mal wär es anders gewesen, so daß ich mich darin übte, mein Märchen unveränderlich an einem Schnürchen weg zu rezitieren. Nachdem ich das grause Ende der Prinzessin ein drittes Mal gebracht, beendete Lotte die Gruselstunde und schickte die Kleinsten zu Bett. Die Kinder jauchzten, daß ich gleich morgen wiederkommen möge, und den Morgen drauf und so immer fort.
    Danach waren wir, seit wie langer Zeit! zum ersten Mal zu zweit.Wilhelm, Du magst ermessen, was es bedeutet, ihr ohneAlbertsAnwesenheit nah zu sein. Zwar hockt derVater im Hintergrund, stochert im Feuer, räuspert sich und läßt sich ein zweites Fläschchen kommen, wir aber sitzen dicht an dicht und Lotte wird nicht müde, meine Schilderung aus der Gebirgswelt zu hören.
    Ich lese in ihren schwarzenAugen wahreTeilnehmung an mir und meinem Schicksal – nein, ich betrüge mich nicht! fühle, und darin darf ich meinem Herzen trauen, daß sie – o darf ich? kann ich den Himmel in diesenWorten aussprechen? – daß sie mich liebt!

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