Werther, der Werwolf - Roman
als scharfe Sichel zeigte er seinAntlitz.
–Wenn er zum dritten Mal voll geworden, wirst du dich wandeln, sagte Graf W ., das ist der Zeitpunkt, wenn wir dich aufnehmen werden; von dann sind die Grenzen menschlichen Daseins für dich ohne Bedeutung. Du wirst Kraft,Weisheit und dasWesen des Dämonenwolfes in dir spüren, wirst dich über denTod erheben und wandeln, wirst mit den uralten Kräften desTieres das jungeVernunfttier Mensch beherrschen, das sich zum Gott aufschwingen will, obwohl ihm dieWurzel zumWesentlichen, zur allgewaltigen Natur, abhanden gekommen ist.
Was der Graf sagte, ängstete mich nicht, stimmte mich vielmehr froh, hatte ich doch geahnt, der wahre Lehrmeister des Menschen sei nicht der Gelehrte, nicht Homer oder Aegist vermöchten uns beizubringen, wie man leben soll, sondern die Natur, einzig sie kann unsere Augen öffnen.
–Wie soll das geschehen? fragte ich.
– Deine Seele ist im Umbruch begriffen.Als Nächstes wird dein Geist folgen, und der Körper ist ihnen beiden untertan.
– Sagt mir aber die genaue Natur jenerVerwandlung, wollte ich dreinfahren. Da knurrte Nero, und ehe ich mich’s versah, sprang er mich an.Von seinem Gewicht wurde ich rückwärts geworfen, stürzte auf den Stein, spürte, roch das warme, dichte Fell, den lebensvollen Odem und verlor die Besinnung.
Ich erwachte – Du ahnst es,Wilhelm – auf meiner Bettstatt in der Hütte, das Bärenfell war mir übers Gesicht gerutscht, daß ich kaumAtem bekam. Ich schlug es beiseite, sprang auf, draußen war der herrlichsteTag.
Am 4. Juni.
Tage und Nächte sind vorbeigezogen, ohne daß sich Ähnliches wiederholte. Nero ist ein verständiger Hund, der mir kaum von der Seite geht, doch mehr gewiß nicht. Ich kann behaupten, daß ich mich im Ganzen besser befinde, die eindrückliche Landschaft tut ihreWirkung. Ich ertappe mich beim Gedanken, unter die Menschen zurückzukehren – weil man sich ja im Schönsten, im Heitersten auf Dauer nicht wohlfühlen mag. MeinVorsatz, Lotten erst entgegenzutreten, wenn die wilde Jagd überspannter Gefühle in mir besiegt ist und ich dieWirklichkeit gelassen schaue, bröckelt. Sie wird seinWeib, so lautet der Urteilsspruch des Zukünftigen, ich beginne in dieser Erkenntnis zu leben.
Aber, was ist das,Wilhelm! das warme Gefühl meines Herzens für das Urwüchsige wird, während dieTage hingehen, zum Peiniger, der mich auf allenWegen verfolgt. Obgleich ich vom Fels über den Fluß das tiefeTal überschaue und alles um mich her quellen sehe, obschon mich die Berge wie gute Kameraden umstehen und mir ihre waldbewachsenen Flanken zuwenden, auch wenn der sanfteAbendwind am Himmel herüberwiegt, wenn ich dieVögel um mich denWald beleben höre und Millionen Mückenschwärme im letzten roten Strahl der Sonne mutig tanzen, wenn sich der Käfer aus dem Gras befreit, mich auf das Schwirren undWeben auf dem Boden aufmerksam zu machen, genügt das meinem glühenden Herzen nicht länger. Es sehnt sich nicht mehr nach lebensvoller Natur, nein! zumAbsterbenden, Modrigen, zumVerfallenden will es hin, mit dem derTod sich des Lebendigen bemächtigt.
Dem Kadaver des Rehs gehört meine Begeisterung, den ich auf felsigemAbbruch finde, wo sichVerwesung in das hineinfrißt, was vor kurzem nochAusdruck des Schönen war. Leben ist Sterben, heißt es; daß es so ist, riechen wir, sehen es am Quälgeist des Borkenkäfers, der den gesunden Baum von innen zernichtet, seine Lebenskanäle abschneidet, sterbend muß der Riese stehen, bis der nächste Sturm ihn knickt. Im Erwachenden such ich dasTodgeweihte, das Faulige im Sprießenden, die wollüstige Unsauberkeit, dieAusscheidung, den exkretorischenAtemhauch, der uns selbst, unsern stetig verfallenden Körper durchweht. Der Körper, Freund, ist wuchernde Gestalt von etwas Gedunsenem, welches man Fleisch nennt, ist dampfend, klebrig in Unreinheit und Makelhaftigkeit.
Als hätte ich einen neuen Sinn erhalten, seh und fühle und schmecke ich in allem Lebendigem dasTote, gebe mich ihm hin und habe mich – lies es mit Schrecken! im Kadaver jenes Rehes gewälzt, mein Gesicht in seinen Innereien gesuhlt, bis ich, über und über beschmutzt, röhrend zur Hütte zurückkehrte. Dahin sind die Freuden, als ich mich am Geist des Ewigschaffenden berauschte, an jedem Staub, in dem es lebt und kreucht.Wie viele Stunden konnte ich mich an den Schwingen eines majestätisch kreisenden Raubvogels ergötzen, konnte aus dem schäumenden Becher jeder Lebendigkeit schwellende Lebenswonne
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