Werther, der Werwolf - Roman
klugen Hundes, ein Pfeifchen zur Nacht, so wurde ich wieder Herr meiner Sinne und gewann, ins Freie tretend und zum Himmel aufschauend, den Eindruck, daß die Natur die einzige, wahre Heilerin aller Seelennot ist.Was wir nämlich, eingeengt durch Mauern und angelerntesVerhalten, zuweilen für ein unüberwindliches Hindernis halten, wandelt sich im Freien, im Urwüchsigen, zu einem Zwergenwesen, das sich kichernd im Dunklen verliert. Ich atmete frei, atmete auf, da ich dem Bannkreis dieser guten Menschen, dem Zauberbann Lottchens entflohen. Im Gebirge, beschloß ich, wollte ich so lange bleiben, bis der Dämon ausgetrieben sein würde und ich, wenn nicht als derAlte, so als ein Neuer zu den Menschen zurückkehren könnte.
Ich legte mich früh aufs Lager, schloß nicht gleich dieAugen, da die Gebilde, die das Feuer anWand und Decke zuckte, mich wach hinträumen ließen, mir ward wohl ums Herz. Ich muß darüber eingeschlafen sein, nahm ich als Nächstes doch wahr, daß Nero ans Bett kam und mich aufforderte, ihm zu folgen.
Ich mag die Grille nicht so weit treiben, als zu behaupten, der Hund sprach zu mir, doch in jenem Zustand – war’s Halbwachen oder schon Schlaf? hörte ich dasTier sagen, ich möge mich erheben. Ich schlug die Decke zurück, stand auf, stieg in die Stiefel und ging mit Nero hinaus. Die Nacht war erfüllt von Glühwürmchenzucken, von leichtemWind und dem Himmelszelt darüber; froh, das zu schauen, wollte ich mein Fell holen und im Freien nächtigen, doch der Hund packte meinen Ärmel und zog mich weiter.Während ich ihm nachsprang, hörte ich imVerschlag mein Pferd mit den Hufen scharren.Wir tauchten in den stockfinsternWald, ich stolperte überWurzelgeflecht, Dornen rissen mir die Hände, doch fiel ich nicht hin, noch zauderte ich, Nero zu folgen.
Ich hatte nie von einem Schloss im Gebirge gehört, nicht einmal von einer Ruine. DasTier aber führte mich zielsicher zu einem Gemäuer, in dessen Fenstern Licht schimmerte, dessenTor offenstand.Während ich darauf zu schritt, gewahrte ich einen schwarzglitzerndenWassergraben, der einzig über die herabgelassene Zugbrücke zu überwinden war. In die mittelalterliche Szenerie eingehend, schmunzelte ich, wie Du es beim Lesen tun magst – entführen wir uns imTraum doch gern inWelten, die mit wachemAuge niemals aufzusuchen wären, sind sie ja längst im Dämmer der Geschichte versunken.
Ich ging in dasTraumschloß hinein, das mit allem aufwartete, was desTräumenden Seele entwirft, einem gepflasterten Innenhof, bezinnten Mauern und einer breitenTreppe, die mich auf Neros Fährte in den Rittersaal führte. In das weite Gemach tretend, das trotz Kerzenscheins düster anmutete, wurde ich eines bestimmten Bildes eingedenk: das Gemälde war’s, das ich in der Halle des Grafen von W . gesehen, auf dem derWürdige mit seinem Jagdhund abgebildet ist.Während ich stehen blieb, lief Nero auf die andere Seite und legte sich zu Füßen einer Person nieder, in der ich ohne Zweifel den Grafen wiedererkannte, den Freund, der seit mehr als einem Jahr unter der Erde lag. Er, der mir gegenübertrat, lebte aber, dieVerwandlung desTodes hatte an ihm nicht stattgehabt, er schien blühender als in seinen letzten Jahren, zugleich strenger, ernster.Als Schloßherr deutete er mir mit knapper Bewegung, näherzukommen.
– Ich will dich erlösen, sprach er, was eine merkwürdige Anrede war, doch im Traum erscheint uns das Unnatürliche klar, und das Normale verliert seine gewohnte Existenz.
– Du quälst dich mit vielen Fragen, fuhr Graf von W . fort, dabei gibt es eineAntwort auf alle. Du wurdest erwählt vom Dämonenwolf und sollst bald der Unseren einer werden.
Bei diesenWorten kam Nero hoch und reckte den struppigen Rücken. Der Graf strich durch sein Fell, Hund und Gebieter sahen mich an; doch stand ich unter dem Eindruck, dasVerhältnis sei umgekehrt: nicht der Graf, der Hund herrsche in diesen Mauern.
– Der Biss des Dämonenwolfes ist kein Fluch, sagte Graf von W ., wie dein Blut dir vorgaukeln will. Dein Inneres bäumt sich gegen die Metamorphose auf, doch sie besiegelt nur dein ärmliches Erdendasein, das du abstreifst, um in ein Neues aufzubrechen.
Ich wußte nichts zu erwidern, wie wir imTraum oft schweigen, während derAlb uns mit Gaukelei unterhält.
– Schau hinauf, fuhr der Graf fort, der Mond ist jung.
Und wirklich, als ich den Kopf hob, gab es kein steinern Gewölbe über mir, die Mauern öffneten sich in den freien Himmel. Der Mond war schmal,
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