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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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der Nacht gewinnen ihre alte Bedeutung, mein Raumsinn gibt mir Selbstvertrauen, während ich jedes Ding und jede Bewegung in meiner Umgebung wahrnehme, und ich spüre, wie in meine Augen die Sehkraft des Räubers zurückkehrt.
    Meine Krallen sind scharf und kräftig, und meine Haut prickelt vor Wonne unter dem dichten Fell. Ich bin schnell und voller Lust, und nichts kann mir im Wege stehen oder meinem Zugriff entkommen. Ich möchte singen oder etwas töten oder einen Fuchs so lange jagen, bis er nicht mehr kann, und ihm dann meine Geheimnisse ins Ohr flüstern, während ich ihn fest an der Kehle halte und in seine hervortretenden roten Augen blicke, um ihn dann wieder auf die Füße zu setzen und in den Schwanz zu kneifen, damit er weiterläuft. Wie vollendet ist die Freiheit des natürlichen Leibes und seiner Wahrnehmungen, das herrliche Spiel seiner Muskeln, die ihm die Ekstase von Bewegung und Geschwindigkeit schenken.
    Ich bin einer Füchsin auf der Spur, schleiche durch die Hecken, durchquere zweimal den Bach, bis ich beinahe bei der Eisenbahnbrücke südlich des Ortes bin. Wieder führt die Witterung der Füchsin auf die andere Seite des Bachs hinüber und scheint der Finsternis unter der Brücke zuzustreben. Dann aber wird sie ausgelöscht durch die Ausdünstung von Menschen, von sehr schmutzigen Menschen. Ich kauere im hohen Unkraut am Bach, um das Gelände unter der Wölbung der Brücke zu erkunden. Der Geruch kommt von dort. Menschlicher Kot, alt und neu, Alkohol, Lebensmittel, verdorben und frisch, schmutzige Haut und schmutzige Kleidung. Die kleinen Hügel sind menschliche Gestalten, unter Lumpen zusammengerollt, um sich warmzuhalten. Menschen, die unter der Brücke schlafen. Landstreicher. Sie wandern die Highways und Eisenbahndämme auf und ab und haben keine Bleibe, und keine Möglichkeit, sich Höhlen zu graben, und deshalb schlafen sie an Orten wie diesen. In der Stadt gibt es ein Lager für diese Leute. Ich habe gehört, wie sich der Bauer und seine Frau darüber unterhalten haben. Ich frage mich, warum diese Menschen hier im Schmutz liegen, wo sie doch im Lager Obdach finden könnten. Vielleicht sind es Ausgestoßene.
    Vorsichtig und mißtrauisch schleiche ich durch das Gras, den Körper dicht am Boden, verwundert über solchen Dreck. Wie halten sie’s nur aus, so dicht an ihrem eigenen Kot zu schlafen? Sogar Hunde … Plötzlich jedoch, durch den aufdringlichen Geruch, der sich mir entgegenstellt, daran gehindert, deutliche Wahrnehmungen zu machen, trete ich auf eine menschliche Hand.
    »Gott verflucht!«
    Ich springe zur Seite und lasse mich, zu Tode erschrocken, ins Gras fallen. Immer sind es die Menschen, die mich an meine Grenzen erinnern. Immer überraschen sie mich auf überraschende Weise. Ich drücke mich ganz platt auf den Boden und hoffe, der Mensch wird wieder einschlafen, doch er hat sich jetzt auf allen vieren aufgerichtet und tastet im Gras dicht in meiner Nähe herum. Ich muß sehen, daß ich davonkomme, ohne ihm etwas anzutun, und ich kann mich nicht in Roberts Gestalt verwandeln, denn das wäre zu gefährlich für ihn. Die Hand des Mannes trifft mein Fell.
    »Was in drei Teufels Namen!«
    Ich spüre jede seiner Bewegungen, nehme seinen wandernden Blick in der Dunkelheit wahr. Ich weiß, daß er nicht viel sehen kann, und ich warte auf den Moment, wo er unaufmerksam wird. Der Moment kommt.
    »He, ihr da. Da ist irgendwas wie ein –«
    In dem Augenblick, wo er leicht den Kopf dreht, um zu den schlafenden Gestalten unter der Brücke hinüberzusehen, springe ich auf und werfe mich, meine Hinterpfoten in den Boden stemmend, gegen seinen Bauch und stoße ihn rückwärts in den Bach. Ich überspringe den Bach, während seine Gestalt unter mir auf das Wasser schlägt, und ich bin schon hundert Meter im hochstehenden Unkraut den Graben neben dem Bahndamm entlanggelaufen, ehe er aus dem Bach herauskrabbeln kann. Ich bleibe ganz still liegen, unterdrücke mein Keuchen und lausche dem Fluchen und Schimpfen des Mannes, als er die anderen unter der Brücke weckt.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahndamms schleiche ich mich zurück zur anderen Seite des Brückentunnels. Die Gestalten haben sich jetzt aufgesetzt, drei, nein, vier sind es. Zigaretten werden herumgereicht, deren glühende Enden flüchtig die Gesichter erhellen, bärtige Gesichter. Ein alter Mann und drei jüngere sind es, aber alle haben sie die gleichen ausgemergelten, bleichen Gesichter, als stammten sie vom selben

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