Werwelt 01 - Der Findling
fairen Kampf verstehe ich nicht viel, weil ich mich immer gegen Kerle wehren mußte, die Messer und so was hatten. Drum hoffe ich, daß du keine Rücksicht nimmst, wenn wir uns schlagen, weil ich das nämlich auch nicht tu.« Der blutrünstigen Geschichten eingedenk, die Charles von Schlachten zwischen den Landstreichern auf der Eisenbahn erzählt hatte, wurde sein Gegner dann regelmäßig anderen Sinnes. Bisher hatte Charles sich nicht schlagen müssen, und meist gelang es ihm, seinem Feind die Wut mit Humor auszutreiben und auf diese Weise dafür zu sorgen, daß keiner von ihnen das Gesicht verlor.
Beim Schlagball, dem einzigen Spiel, das die Jungen neben solchen Spielen wie Räuber und Gendarm spielten, zeigte Charles sich zwar sportlich, doch so rapide Fortschritte wie im Klassenzimmer machte er nicht. Gerade beim Schlagball erfuhr er aber, daß etwas von dieser merkwürdigen Kraft, die ich in jener Nacht im Schafpferch entdeckt hatte, auch in sein Leben hinüberspielte.
Der beste Werfer der Schule war Ronald Borsold, der allgemein Runt gerufen wurde. Runt Borsold war ein stämmiger kleiner Bursche von dreizehn Jahren mit kräftigen Armen und scharfem Auge, dafür bekannt, daß er die Schläger des gegnerischen Teams zur Verzweiflung brachte. Eines Nachmittags, als Runt warf, war Charles dem gegnerischen Team zugeteilt und fand es äußerst demütigend, daß er den Ball einfach nicht traf. Nachdem er, zum zweitenmal als Schläger an der Reihe, zweimal ins Leere geschlagen hatte, wurde er wütend. Das Gebabbel auf dem Spielfeld ging ihm unter die Haut. Schwitzend wartete er auf den nächsten Wurf, wohl wissend, daß der Ball an seinem Schagholz vorbeisausen würde wie zuvor, und plötzlich dachte er ganz verzweifelt: Wirf ihn schön leicht!
Der nächste Ball segelte wie eine Feder zum Schlagfeld, und Charles schlug ihn krachend hinüber ins hohe Gras beim alten freistehenden Plumpsklo. Die Zeit reichte, um in raschem Lauf das ganze Feld zu umrunden. Und das passierte ausgerechnet Runt! Charles’ Mannschaft brachte ihrem Helden mit freundschaftlichen Püffen auf Rücken und Kopf diverse Blutergüsse bei, als er lange vor dem Ball, den ein plötzlich erwachter gegnerischer Spieler in weitem Bogen zurückwarf, das Heimmal überlief.
Runt Borsold stand auf dem kahlen Fleck im Rasen, der die Werferplatte war, und starrte Charles an, als hätte der soeben ein Wunder vollbracht. Der nächste Schläger konnte Runts Verblüffung noch ausnutzen und holte mit einem glücklichen Schlag noch einen Lauf bis zum zweiten Mal heraus, aber die übrigen Schläger hatten dann mit Runts Bällen wieder die gleichen Schwierigkeiten wie immer. Als Charles erneut an die Reihe kam, fragte auch er sich noch immer, was eigentlich geschehen war, und ließ den ersten Ball vorbeisausen, ohne es mit dem Befehl zu versuchen, den er zuvor angewendet hatte. Doch jetzt hat mich die erregende Wirkung, die das Spiel auf Charles hat, geweckt, und ich führe ein Ausströmen des Gefühls herbei, das ich auf die Tiere angewendet hatte. Charles verspürte darauf eine starke emotionale Reaktion, die ihn veranlaßte, dem Werfer den stummen »Befehl« zu geben: Wirf ihn leicht!
Und da kam der Ball schon, flog weich und sachte durch die Luft, das reinste Kinderspiel. Charles holte aus und schleuderte ihn über den Stacheldrahtzaun am linken Ende des Spielfelds. Wieder ein Lauf ums ganze Feld! Beide Mannschaften brüllten jetzt aus voller Kehle, die Spieler von Runts Team zum Teil deshalb, weil sie vermuteten, er hätte sich mit irgendeiner geheimen Belohnung von Charles bestechen lassen. Es sah schlecht aus für Runt, doch in den folgenden Minuten wurde klar, daß die Beschuldigung ungerechtfertigt war. Heulend – unter den Jungen eine nahezu unverzeihliche Gefühlsäußerung – verließ er das Spielfeld. Es lag auf der Hand, daß er seine Mitspieler nicht für dumm verkauft hatte, sondern das Opfer eines unerklärlichen Mißgeschicks geworden war.
Charles, hieß es danach, hätte Runt mit dem bösen Blick belegt, und sein Ansehen als Schlagballspieler stieg beträchtlich. Charles selbst kam, als er ein paar Minuten Zeit hatte, in Ruhe nachzudenken, zu dem Schluß, daß er tatsächlich Macht über den anderen Jungen besaß, und er überlegte, wie er diese Macht auch anderweitig zu seinen Gunsten ausnützen könnte. Er beschloß, sogleich das große Experiment zu wagen. Er versuchte, Miss Wrigley zu befehlen, und es klappte nicht. Es war ein glatter
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