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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Charles eine wendige Anmut zu besitzen, die keinen Schmuck brauchte. Am meisten aber bewunderte er ihr Wissen. Sie schien überhaupt alles zu wissen, was es auf der Welt gab, und er wünschte sich leidenschaftlich, all das zu lernen, was sie wußte, um mit der gleichen Sicherheit wie sie Geschichten und Geschichte erzählen, mathematische Aufgaben lösen zu können. Und wenn er sich auch, wie Mrs. Stumway richtig vermutete, im Haus und auf dem Feld lieber vor der Arbeit drückte, so arbeitete er doch für Miss Wrigley, weil er lernen wollte.

2

    Ich habe natürlich gemerkt, wie sehr ich gewachsen bin. Das ist keine Überraschung. Auch die anderen Veränderungen, diese merkwürdige Unrast, die wohl ein Erwachen der sexuellen Bedürfnisse ankündigt, diese plötzliche Lust, den Menschen verrückte Streiche zu spielen, die mich überkommt, wenn ich nachts auf Jagd bin, diese Veränderungen also sind bei einem heranwachsenden Geschöpf fast zu erwarten und spiegeln sich im täglichen Verhalten von Charles, dem Menschenkind. Es gibt jedoch andere Veränderungen in meiner Welt, die weniger leicht zu erklären sind.
    Zum einen macht es eine geheimnisvolle Kraft mir seit neuestem unmöglich, das alte Haus von Mrs. Stumway zu betreten, wenn ich mich nicht vorher in Charles zurückverwandle. Das ist mir rätselhaft, da ich mir nicht vorstellen kann, daß es etwas gibt, was mich daran hindern könnte, eine menschliche Behausung zu betreten, es sei denn, so ein Haus ist durch Panzerplatten und gewaltige Schlösser gesichert.
    In der zweiten Woche meines Zusammenlebens mit Mrs. Stumway schlüpfte ich wie gewöhnlich des Nachts hinaus, und bei meiner Rückkehr war ich nicht imstande, die Schwelle der Hintertür zu überschreiten. Ich versuchte mein Glück bei einem Erdgeschoßfenster, dann oben am Fenster meines eigenen Zimmers, aber überall war es das gleiche. Irgend etwas, von dem ich überhaupt keine Vorstellung habe, verwehrte mir den Zutritt. Sobald ich den Kopf durch das Fenster steckte, fühlte ich mich plötzlich schwach und elend, mein Herz fing an zu hämmern, daß es mir in den Ohren dröhnte, ein Gefühl, wie ich es nie zuvor gehabt hatte, schnitt mir durch die Därme, und nur, indem ich vom Haus zurückwich, war mir Linderung möglich. Und doch konnte ich, sobald ich mich in Charles verwandelt hatte, ohne Schaden und irgendwelche quälenden Empfindungen durch die Tür ins Haus gehen. Die Gefahr, die sich hier zeigt, ist etwas, worüber ich nachdenken muß, dem ich auf den Grund kommen muß; doch solange Charles dieser Kraft gegenüber immun ist, fühle ich mich relativ sicher. Neben den anderen Veränderungen, die sich in meinem Leben zeigen, ist diese eben um so beunruhigender und quälender, weil sie unerklärlich ist, und ich nicht weiß, ob die alte Frau dahintersteckt oder ob es sich da um irgendeinen Effekt handelt, von dem sie nichts weiß.
    Die zweite Veränderung ist ebenso verwunderlich, aber wesentlich angenehmer. Ich liege zusammengekauert an der von Unkräutern überwucherten Ecke eines Feldes, etwa zwanzig Meter entfernt von einer Herde dicht gedrängt stehender Schafe, die jetzt in der Dunkelheit ein erstes unruhiges Blöken der Angst hören lassen. Ich rechne damit, daß jeden Moment die Hunde auftauchen werden, die in so einer Situation unweigerlich eingreifen. In letzter Zeit reiße ich nur noch selten Lämmer, aber in dieser Nacht bin ich hungrig und nicht in Stimmung, mich mit Hasen und Hühnern zufriedenzugeben. Ich warte auf die Hunde und schicke meinen Raumsinn aus, sie aufzuspüren. Sie befinden sich drüben bei der großen Raufe, aus der sich die Schafe ihr Heu holen. Es sind zwei große, stille Tiere, die sich an einen anschleichen und ganz plötzlich, ohne warnendes Gebell, zubeißen. Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als mich mit ihnen anzulegen, denn jetzt haben sie mich gewittert. Ich spüre das Erwachen ihrer Wachsamkeit und ihre Furcht, als sie sich im hohen Gras am Zaun entlangschleichen. Ich werde sie schnell niedermachen, denn sie erfüllen mich mit Wut, und ich bin hungrig. Ich nehme sie jetzt, wo ihre Schwingungen auf meinen Raumsinn stoßen, ganz deutlich wahr, und ich fühle, wie ich sie, voller Haß darüber, daß sie mich stören, verwünsche und zurückstoße. Plötzlich steile ich verblüfft fest, daß sie nicht mehr näherkommen. Sie kehren um, richten sich auf und trotten davon, hinüber zu den fernen Stallungen. Ich stelle mich im Unkraut auf, aber sie drehen sich

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