Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
Vom Netzwerk:
nicht um. Im Gegenteil, jetzt rennen sie sogar, stürmen vorwärts, als trügen sie ein Rennen aus, um zu sehen, wer am schnellsten von beiden die Herde unbewacht zurücklassen kann. Kann es sein, daß sie zum Bauern laufen? Still wie ein Baumstumpf stehe ich im Gras und lausche, sende meine Sinne zu den fernen Ställen aus. Sie gelangen dort an und kauern sich nieder, die Köpfe den Feldern zugewandt. Sie sind jetzt mehr als dreihundert Meter entfernt, an der äußersten Grenze meines Wahrnehmungsbereichs, und sie legen sich nieder, als könnte nichts geschehen. Ich halte sie im äußersten Winkel meines Wahrnehmungsfeldes fest und laufe mitten unter die Schafe, die vor Entsetzen natürlich wie erstarrt sind, und suche mir ein schönes fettes Lamm heraus. Die Hunde haben sich nicht gerührt. Unglaublich!
    Ich setze über einen kleinen Bach und lege mich ins Nachbarfeld, um meine Mahlzeit zu verzehren. Das Lamm schmeckt köstlich. Keine Spur von den Hunden, während ich ein kleines Loch grabe, um die Reste darin zu verscharren. Der Bauer soll nicht wissen, daß sein Lamm gefressen worden ist. Besser, ihn in dem Glauben zu lassen, es wäre einfach gestohlen worden.
    Vielleicht sind die Hunde Feiglinge, aber ich muß Gewißheit haben. Auf dem Rückweg zum Haus von Mrs. Stumway probiere ich es noch einmal aus; ich schleiche mich an einen Stall heran, warte, bis die Hunde sich erheben und schnüffelnd nach mir Ausschau halten und schicke ihnen dann das Gefühl des Zurückstoßens entgegen. Sie halten inne, stehen auf, als wäre es heller Tag, und trotten zurück zu ihren Schlafplätzen unter der hinteren Veranda des Bauernhauses. Vielleicht läßt sich aus dieser Kraft sogar noch mehr machen. Ich spüre mit meinen Sinnen nach anderen Tieren und entdecke eine Katze, die auf der Suche nach Mäusen im Stall umherschleicht. Ich erzeuge in meinem bereits gesättigten Körper ein Gefühl von gierigem Hunger. Ich teile der Katze mit, daß sie zu mir kommen muß. Ich passe genau auf, während ich diese Gefühle dorthin schicke, wo die Katze sich befindet. Sie unterbricht ihre Pirsch nach Mäusen und läuft gehorsam zur Stalltür hinaus, den Schwanz hochaufgestellt, als wäre sie auf dem Weg zu einem Napf Milch. Mit anmutig wedelndem Schwanz kommt sie durch die große Tür heraus und läuft direkt zu der Stelle, wo ich im Schatten kauere. Ich hätte sie packen und auffressen können, aber ich habe einen Ekel vor Katzen. Sie steht da und läßt ihren Blick durch die Dunkelheit schweifen, ohne mich überhaupt zu bemerken. Ich löse das Gefühl in mir, lasse das Anziehungsgefühl irgendwie zerfließen, ich weiß nicht genau wie, aber ich nehme wahr, daß der Bann gebrochen ist. Die Katze sträubt plötzlich sämtliche Haare, plustert sich auf, faucht mir ihre Angst ins Gesicht und weicht voller Schrecken zurück. Ich lache leise, und sie dreht sich um und flitzt durch den Hof zu einem Baum, um in rasender Geschwindigkeit an ihm hochzuklettern.
    Die Möglichkeiten, die diese neue Kraft in sich birgt, sind enorm. Ich muß sie sorgfältig ausprobieren, um ihre Grenzen zu bestimmen. Könnte ich beispielsweise ein größeres Tier oder einen Menschen zwingen, meinen stummen Befehlen zu folgen? Auf jeden Fall garantiert mir diese Kraft ständige Versorgung mit Nahrung, ohne daß ich mir danach die Beine ablaufen muß.
    Charles begriff das Lesen so schnell, als hätte er es nur eine Weile vergessen, nicht, als müßte er es von Grund auf lernen. Als es Mitte Oktober wurde, hatte er bereits den zweiten Band der Fibel durchgearbeitet, mit dem sich die Zweitkläßler herumschlugen, und er konnte bereits schriftlich zusammenzählen und abziehen. Miss Wrigley betrachtete ihn als ihren Star unter den siebenundzwanzig Schülern.
    Unter den Schülern waren allerdings einige nicht so hingerissen von Charles, weil er sie mit seinen treffenden Fragen und seinen erstaunlichen Fortschritten bald in den Schatten stellte; die meisten von ihnen aber mochten sein frisches, herzliches Wesen und seine Bereitschaft, bei jedem Spiel oder Abenteuer mitzumachen, das sie sich einfallen ließen. Es sprach für Charles’ gutmütiges Wesen, fand Miss Wrigley, daß er sich ihres Wissens noch nicht ein einziges Mal geprügelt hatte, seit er in die Schule gekommen war. Das war für einen neuen Schüler ein Rekord. Er beruhte auf einem einfachen Rezept. Charles pflegte jedem Herausforderer – und in der ersten Schulwoche fanden sich da mehrere – zu sagen: »Von einem

Weitere Kostenlose Bücher