Werwolfkind (German Edition)
hörte nicht auf sie. Ja, es wurde sogar mit ein paar Steinen nach ihr geworfen. Sie wich zurück. Der starke Dieselmotor des Caterpillars brüllte auf. Das stufenlose Getriebe ließ das tonnenschwere Fahrzeug ansatzlos anfahren.
Die schwere stählerne Räumschaufel krachte gegen das Tor und sprengte sie auf. Der Caterpillar fuhr in den Hof. Francesco eilte mutig die Stufen herunter und stellte sich dem Mob in den Weg, der in den Schlosshof drängte und sich verteilte. Professor Cascia blieb auf der Turmtreppe stehen, er blieb lieber zurück.
Pietro hatte sich hinter einer dunklen Ecke versteckt, sein geliebtes Motorrad hatte er in der Garage in Sicherheit gebracht.
»Hinaus!«, rief Francesca und fuchtelte mit den Armen. »Weg da, hinaus!«
Sie wurde gepackt und an die Wand gedrängt. Dabei erhielt sie ein paar Stöße und Püffe, wurde grob angepackt. Zwei, drei Männer spuckten sie sogar an.
»Werwolfbraut! Teufelshure! Buhle des Satans!«
»Lasst mich los, ihr Verrückten!«
Francesca schrie gellend um Hilfe. Professor Cascia kam, auch ihn packte man. Der Professor hatte vorher in seinem Arbeitszimmer eine Pistole in die Hosentasche gesteckt. Die wagte er nicht hervorzuziehen, der Mob hätte ihn glatt zerrissen.
Don Pasquale, der Pfarrer, drängte sich vor. Ihm folgte der Bürgermeister. Den Dottore hatte Francesca bisher nicht gesehen, er versteckte sich in der Menge, nahm aber, mehr oder weniger gezwungenermaßen, teil.
»Packt sie nicht so grob an!«, befahl Don Pasquale. »Sie ist eine Marchesa und stammt aus unserem Dorf. Ich will prüfen, ob sie eine Werwölfin ist. Nino, bespreng sie mit Weihwasser.«
Ein Jugendlicher gehorchte. Francesca wurde an die Wand gepresst. Der Pfarrer fing an zu singen.
»In nomine patri et filii et spiriti sancti…«
Weitere lateinische Worte folgten. Don Pasquale bewegte das Kreuz an der metallenen Stange vor Francescas Gesicht. Er presste es ihr ins Gesicht, berührte sie mehrfach damit. Er presste es ihr in die Herzgegend. Fehlt nur noch, dass er mir damit zwischen die Beine fährt, dachte die schwarzlockige junge Frau im langen, dafür tief ausgeschnittenen Kleid.
Endlich waren der Pfarrer und alle andern zufrieden.
»Sie ist keine Werwölfin«, befand Don Pasquale. »Sie trägt nicht den Keim der Lykanthropie in sich.«
Der Bürgermeister befahl: »Haltet sie fest. Bringt die zwei andern.«
Professor Cascia und Pietro, den man gefunden und gefasst hatte, wurden nach vorn geschleppt. Cascia protestierte.
»Ich bin Akademiker, ordentlicher Professor an der Universität von Turin. Was fällt euch denn ein, mich so zu behandeln?«
Als er eine kräftige Ohrfeige erhielt, schwieg er. Auch er und Pietro wurden überprüft – ohne Ergebnis.
»Sie sind keine Werwölfe«.
Das hatte der Pfarrer gesagt. Jetzt schaltete sich der Bürgermeister ein.
»Haltet sie fest und durchsucht alles! Bringt auch die Bediensteten in den Hof. Hochwürden wird sie überprüfen. Der Brut kann man nicht trauen.«
Vom Bürgermeister hatte Francesca noch nie viel gehalten. Einmal, da war sie noch lange nicht verheiratet gewesen, hatte er in seinem Amtzimmer versucht, ihr unter den Rock zu fassen. Sie hatte ihn in einer amtlichen Angelegenheit aufgesucht. Da hatte sie ihm eine geknallt, dass alle fünf Finger auf seiner Wange zu sehen gewesen waren, ihn einen schäbigen alten Bock genannt und gedroht, ihm die Augen auszukratzen.
Nach der Abfuhr hatte er sie nie wieder anfassen wollen.
Die Männer verteilten sich. Alle Altersstufen waren dabei, vom Halbwüchsigen bis zum Greis. Sogar ein paar alte Männer, die es kaum den Berg hoch geschafft hatten, stolperten mit der Meute umher. Professor Cascia war nicht nach Waffen durchsucht worden.
Das hatte man entweder übersehen, oder hielt es nicht für nötig. Die Männer aus San Clemente schleppten die alte Filomena, Adolfo und die Schwestern Claudia und Rosa herbei.
Sie waren alle angezogen, ein Zeichen, dass man sie nicht im Schlaf überrascht hatte, was auch schlecht möglich gewesen wäre bei dem Lärm und Tumult. Die beiden Mafiosi, der Muskelmann und der mit Bärtchen, stolzierten auf dem Schlosshof herum und führten sich auf, als ob das Castello ihnen gehörte.
Don Pasquale fing wieder mit seinem Patri et filii und Dominus vobiscum und anderem an und führte im Fackelschein den Werwolftest durch. Aus den Augen des Geistlichen leuchtete ein fanatischer Eifer. So mussten die Hexenjäger in früheren Zeiten und die Schergen der
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