Wes - Wächter der Nacht
„Das macht das Ganze umso erstaunlicher. Und Regel Nummer drei?“
Sie blinzelte überrascht. „Regel Nummer drei?“ Sie hatte keine drei Regeln im Sinn, nur diese zwei.
„Nummer eins lautet: keinen Sch… ähm, keinen Käse erzählen“, erklärte er. „Nummer zwei lautet: kein Sex. Das geht in Ordnung, denn daran liegt mir sowieso nichts. Ich bin einfach noch nicht so weit, mich mit wem auch immer so intensiv einzulassen, und nebenbei bemerkt: Obwohl Sie sehr hübsch sind – ich erzähle Ihnen keinen Käse, sondern meine das absolut ernst gemäß Regel Nummer eins –, sind Sie einfach nicht mein Typ.“
„Ihr Typ.“ Wow, das wurde immer besser. „Was oder wer wäre denn Ihr Typ?“
Er öffnete den Mund, aber sie boxte ihm in die Rippen,weil das Geschehen auf dem Spielfeld plötzlich ihre Aufmerksamkeit verlangte. Er hatte einen sehr massiven Brustkorb, obwohl sie in ihren hochhackigen Schuhen fast genauso groß war wie er.
„Merken Sie sich, was Sie sagen wollten“, befahl sie. „Andy ist dran.“
Gehorsam klappte Wes den Mund wieder zu. Sie wusste, dass er keine Kinder hatte, aber offensichtlich verstand er trotzdem, dass es für Eltern nun einmal nichts Wichtigeres oder Interessanteres gab als ihr eigenes Kind, wenn es mit dem Baseballschläger in der Hand auf dem Platz stand.
Ihr „Kind“ war neunzehn Jahre alt und hatte gerade ein Baseball-Stipendium fürs College bekommen. Ihr „Kind“ war fast eins neunzig groß, wog knapp einhundert Kilo, traf die meisten Bälle und beförderte sie meist weit über den Zaun, wenn nicht gleich bis in die nächste County.
Aber der Regen wurde gerade sehr viel stärker.
Den ersten Ball nahm Andy nicht an.
„Wie kann er bei dem Regen überhaupt etwas sehen?“, murmelte Brittany. „Er kann doch gar nichts sehen. Außerdem, was soll das? Es hat in Südkalifornien einfach nicht zu regnen.“ Das war einer der Vorteile des Umzugs von Massachusetts hierher gewesen.
Der Werfer holte weit aus, schleuderte den Ball von sich und … tock. Andys Schläger traf den Ball mit einem scharfen, dröhnenden Laut, der viel eindrucksvoller klang als das blutleere Klick , das bei Baseballspielen im Fernsehen zu hören war. Brittany hatte von alldem keine Ahnung gehabt, bevor sie Andy adoptierte und er mit derselben wilden Hingabe Baseball zu spielen begann, mit der er alle Herausforderungen seines Lebens anging.
„Jaaa!“ Der Ball flog über den Zaun, und Andy ranntelos. Brittany begann abwechselnd zu klatschen und gellend auf den Fingern zu pfeifen.
„Cowboy sagte, Ihr Junge sei ganz gut.“
„ Ganz gut? Blödsinn!“, entgegnete Brittany. „Das ist sein einunddreißigster Home Run in diesem Jahr, wenn Sie es genau wissen wollen.“
„Sind schon Talentsucher auf ihn aufmerksam geworden?“
„Allerdings“, nickte sie. „In erster Linie, weil es noch einen anderen Jungen im Team gibt – Dustin Melero –, der eine Menge Aufmerksamkeit erregt. Er ist Werfer, eine echte Kanone, wissen Sie? Die Talentsucher kommen her, um ihn spielen zu sehen, aber seine Leistungen schwanken ziemlich stark, und es mangelt ihm noch an Reife. Im Endeffekt werden die Typen dann auf Andy aufmerksam und bleiben, um ihn näher unter die Lupe zu nehmen.“
„Werden Sie ihm erlauben, als Profi zu spielen, bevor er das College beendet?“
„Er ist neunzehn“, antwortete Brittany. „Ich erlaube ihm gar nichts. Es ist sein Leben, seine Entscheidung. Er weiß, dass ich ihn unterstützen werde, was immer er tun wird.“
„Ich wünschte, Sie wären meine Mutter.“
„Ich glaube, Sie sind ein bisschen zu alt, um von mir adoptiert zu werden“, lachte sie. Wes war tatsächlich deutlich jünger als sie, mindestens fünf Jahre, vielleicht sogar mehr. Was hatte ihre Schwester sich nur dabei gedacht?
„Wie alt war Andy, als Sie ihn adoptiert haben? Zwölf?“, fragte er.
„Dreizehn.“ Irischer Herkunft. Melody hielt Wes für irischer Abstammung, und sie glaubte, dass Brittany auf Männer stand, deren Augen schalkhaft funkelten und derenLächeln sie von innen heraus strahlen ließ. Mel war sehr glücklich mit Cowboy, und sie hatte sich gut gemerkt, was Brittany ihr eines Abends vor vielen Jahren erzählt hatte, nachdem sie ein bisschen zu viel getrunken hatte: Was sie am Scheitern ihrer Ehe mit diesem Vollidioten Quentin am meisten bedauert habe, sei der Umstand, dass die Ehe kinderlos geblieben war. Sie hätte so gern ein Kind gehabt, ein eigenes Kind.
Nun ja, in Zukunft
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