Wes - Wächter der Nacht
ein paar Minuten. Ich muss jetzt weinen, und ich will dich nicht damit belasten.“
Er lachte. „Selbst wenn es eine Belastung wäre … Du liebe Güte, Britt, musst du eigentlich immer an andere denken? Kannst du dich nicht einfach mal nur um dich selbst kümmern?“
Sie setzte sich in den Sand, zog die Knie an, legte das Gesicht darauf und verbarg es in ihren Armen. „Bitte, geh einfach weg.“
„Nein.“ Wes setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme. „Baby, es ist vollkommen in Ordnung, wenn du weinst! Es war eine verdammt harte Nacht.“
Brittany sträubte sich vielleicht eine halbe Sekunde. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn.
Er hielt sie einfach nur fest und streichelte sie, strich ihr über den Rücken und über die Haare, während der Himmel langsam heller wurde. Der Nebel senkte sich dicht, nass und kalt auf sie herab.
Brittany schien weder die Kälte noch die Nässe zu spüren, und er ließ sie einfach in Ruhe, ließ sie trauern.
„Oh Gott, du musst mich für einen Waschlappen halten“, sagte sie schließlich und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „Ich halte dich für eine wunderbare Frau. Ich halte Andy für den glücklichstenJungen der Welt, weil du seine Mutter bist. Weißt du, was bei uns zu Hause passiert wäre, wenn ich ein Stipendium fürs College gehabt und es mit einer Prügelei aufs Spiel gesetzt hätte?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Meine Mutter hätte ein sehr ernstes Gesicht gemacht, und mein Vater hätte kaum vom Essen aufgeschaut. Er hätte gesagt – oh Gott, wie oft ich das gehört habe! ‚Mich überrascht daran nur eines, Wesley: dass es immerhin drei Monate gut gegangen ist statt nur zwei.‘“
Wieder schwammen ihre Augen in Tränen. „Wie kann man seinem Kind nur so etwas Schreckliches sagen?“
Er küsste sie. „Hey, pscht! Ich hab dir das nicht erzählt, um dich wieder zum Weinen zu bringen.“
„Du hast mir gesagt, dass dein Vater dich nicht geschlagen hat“, schniefte Brittany. „Aber das ist doch nichts anderes! Dir ins Gesicht zu sagen, dass er nichts anderes erwartet hat als dein Versagen, ist in meinen Augen nichts anderes als eine gewaltige Tracht Prügel.“
„Nun mal langsam, keine vorschnellen Urteile, ja? Ich habe wirklich unendlich viel Mist gebaut.“
„Siehst du? Du hast ihm geglaubt. Du glaubst ihm immer noch.“
Er wechselte sanft das Thema, strich ihr immer noch mit den Fingern durchs Haar. Das Band, das ihren Pferdeschwanz zusammengehalten hatte, musste sie bei ihrem Lauf über den Strand verloren haben. „Was wirst du tun, wenn er sein Stipendium verliert?“
Sie lehnte sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. „Wie ich schon Andy gesagt habe: Uns wird schon was einfallen.“
„So was wie: deine Fortbildung und die Pläne für deineSelbstständigkeit auf Eis legen?“
Brittany nickte. „Ich bezahle meine Kurse mit dem Geld, das ich für Andys Schulbildung gespart habe“, sagte sie. „Er wollte aufs Amherst College gehen, nicht weit von unserem Haus in Appleton, Massachusetts. Er wollte zu Hause wohnen bleiben, unter allen Umständen. Ich habe versucht, ihn dazu zu überreden, am College zu wohnen. Jungenwohnheim. Jede Menge Spaß. Zimmerkollegen, Partys und so weiter. Aber er lachte nur und sagte, er habe schon viel zu viele Jahre in Pflegefamilien gelebt, mit Fremden zusammen. Warum sollte er jetzt freiwillig wieder mit Fremden leben wollen, wo er sich doch gerade an ein richtiges Zuhause gewöhnt hätte?“
„Kluger Junge“, meinte Wes und bemühte sich krampfhaft, zu ignorieren, dass ihre Hand auf seinem Oberschenkel lag.
Sie lächelte, spielte mit der Tasche seiner Cargoshorts. „Ja, da hast du wohl recht. Und dann bekam er das Stipendium für das College in L.A. – ein Baseball-Stipendium. Oh Gott, er hätte es so gern angenommen, aber er war drauf und dran, es abzulehnen. Und plötzlich dachte ich: ‚Pfeif drauf! Ganz bestimmt gibt es eine Krankenpflegeschule in L.A. – wir können also zusammen dorthin ziehen.‘ Irgendwie ist es verrückt, weißt du. Andy und seine Mutter drücken gemeinsam die Schulbank. Wie in einem schlechten Teeniefilm. Aber genau das wollte er, und es scheint zu funktionieren.“ Sie holte tief Luft. „Es wird auch ohne das Stipendium funktionieren. Krankenschwestern sind Mangelware. Wenn ich einen Vollzeitjob im Krankenhaus will, bekomme ich den nachgeschmissen.“
„Das wäre aber
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