Wesen der Nacht
dicht, dass ich die Kühle spüren konnte, die seine flackernde Gestalt verströmte. »E ntschuldige. Diese Projektionssache ist nicht so leicht zu kontrollieren.« Die Nähe schien ihm keineswegs peinlich zu sein, tatsächlich ließ er sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er einen Schritt zurück trat und mir die Gelegenheit gab, mich zu ihm herumzudrehen, ohne dass ich fürchten musste, durch ihn hindurchzugleiten.
»D u flackerst.« Seine Erscheinung zuckte wie eine Flamme im Luftzug, als würde sie jeden Moment erlöschen. »S timmt etwas nicht?«
»E s kostet mich viel Kraft, sichtbar zu werden.« Seiner Stimme war die Anstrengung ebenfalls anzumerken, sie knackte und knisterte wie ein schlecht eingestellter Radiosender.
»D u hast die halbe Nacht mit mir geredet, du musst völlig erledigt sein.«
»E s geht.«
Das war glatt gelogen. Selbst für diese zwei kurzen Worte gelang es ihm kaum, die Erschöpfung aus seiner Stimme zu bannen.
»D as Sprechen fällt mir etwas leichter. Aber auch das wird allmählich schwerer.«
»D ie schwindende Energie?«
Er nickte und schlug die Augen nieder, jedoch nicht schnell genug, um die Sorge in seinem Blick vor mir zu verbergen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
»D u ruhst dich am besten noch eine Weile aus«, schlug ich vor, »u nd ich gehe in der Zwischenzeit einkaufen. Wenn ich wieder da bin, melde ich mich. Wir werden uns so unterhalten, wie wir es in London getan haben. Deine Stimme in meinem Geist.« Auch wenn ich sein Lächeln und das schelmische Funkeln in seinen Augen vermissen würde. »D as kostet dich weniger Kraft und wir können trotzdem mit der Suche nach dir beginnen. Einverstanden?«
Sein Lächeln war so voller Wärme, dass mir ganz schwindlig wurde. »D anke. Für alles.«
Das letzte Wort war kaum verklungen, da war er auch schon verschwunden. Und ich hatte vergessen, ihn auf den Eindringling anzusprechen, der hier die Chips futterte. Ich warf einen Blick auf die Speisekammer.
»F riss die bloß nicht leer, während ich weg bin«, sagte ich in den leeren Raum hinein, nahm den Hausschlüssel, der im Windfang an einem Haken hing, und verließ fluchtartig das Cottage, aus Angst davor, jemand könne mir antworten.
Im Schuppen fand ich nicht nur ein Fahrrad, sondern auch eine geräumige Tasche, die ich auf dem Gepäckträger montieren konnte. Kaum hatte ich das Teil festgeklemmt, schwang ich mich in den Sattel und machte mich auf den Weg ins etwa fünf Kilometer entfernte Kyle of Lochalsh, wo es den einzigen größeren Supermarkt in der Gegend gab. An sich waren fünf Kilometer keine sonderlich weite Strecke, aber auf den gewundenen, immer wieder ansteigenden Straßen fühlte es sich mindestens doppelt so lang an– vor allem bei dem ständigen Gegenwind, der mir ins Gesicht schlug. Wenigstens regnete es nicht. Die Wolken waren abgezogen und hatten einen strahlend blauen Himmel hinterlassen, von dem warm die Sonne schien.
Das Cottage lag so abgeschieden, dass ich auf den ersten Kilometern nur einem einzigen Wagen begegnete. Erst als ich Kyle erreichte, war Schluss mit der Einsamkeit. Eine nicht enden wollende Autoschlange zog sich die Hauptstraße entlang zur Skye Bridge. Die Gehwege waren voll von Touristen, ebenso wie die Cafés, Shops und Restaurants. Am Busbahnhof und auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, wo gerade der Zug aus Inverness angekommen war, traten sich die Leute gegenseitig auf die Füße, ehe sie in den Ort einfielen. Es war wirklich erstaunlich, hier konnte man sich vor Menschen kaum retten, und keine zwei Kilometer weiter war es, als sei man am einsamsten Ort der Welt.
Der steile Hügel, auf dem der Supermarkt über der Bucht thronte, ließ mich kapitulieren. Ich stieg ab und schob das Rad hinauf. Von hier oben hatte man eine herrliche Aussicht auf die Skye Bridge und die Isle of Skye. Ein paar Minuten stand ich einfach nur da und nahm das Panorama aus grünen Hügeln, schroffen Felsen und dem Meer in mich auf, während der Wind mein erhitztes Gesicht kühlte.
Ich hatte gelernt, in London zurechtzukommen, und wusste die Annehmlichkeiten einer Großstadt durchaus zu schätzen. Wenn man hier ins Kino wollte, brauchte man entweder ein Auto, mit dem man dann fünfzig Kilometer nach Portree fahren musste, oder man setzte sich zwei Stunden in den Zug nach Inverness. An Shopping war gar nicht zu denken. Trotzdem wusste ich schon jetzt, dass ich mich künftig nicht mehr davon abhalten lassen würde, zumindest meine Ferien hier zu
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