Wesen der Nacht
verbringen. Mit Dad und Trick. Ich musste sie finden. Auch wenn Cale nicht darüber reden konnte, er würde mir sicher helfen. Und er hatte mir versichert, dass sie nicht in Gefahr waren. Wenigstens er war schon halbwegs bei mir. Ihn zu finden, konnte jetzt nur noch eine Kleinigkeit sein. Aber erst einmal musste ich meine Einkäufe erledigen. Ohne Essen keine Kraft für eine Suche.
Ich riss mich von der Aussicht los, holte mir einen Einkaufswagen und betrat den Supermarkt. Für einen Ort wie diesen mochte der Laden gigantisch sein, mir kam er mit seinen fünf Gängen ziemlich winzig vor. Die Auswahl war nicht besonders groß, aber immerhin bekam ich alles, was ich brauchte. Brot, Obst, Milch, Wurst und Käse wanderten in meinen Wagen, ebenso wie Frühstücksflocken und ein kleiner Vorrat an Fertiggerichten. Nur passende Batterien für die Taschenlampe fand ich keine. Der Verkäufer, den ich danach fragte, erklärte mir, dass sie solche erst nächste Woche wieder reinbekämen. Also entschied ich mich stattdessen für zwei dicke Kerzen und ein weiteres Feuerzeug. Als ich die Sachen in den Wagen legte, hatte ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ganz ähnlich wie an jenem Nachmittag zu Hause, kurz bevor ich überfallen worden war. Alarmiert hob ich den Kopf und sah mich um. Drei Kinder drängten sich vor dem Keksregal um ihre Mutter, die ihre Brut verzweifelt davon abzuhalten versuchte, den Süßkram in den Einkaufswagen zu werfen. Ein Pärchen schob seinen Wagen um die Ecke und sah sich suchend um und vor dem Regal mit den Marmeladen stand ein Mann, der gewissenhaft die Etiketten studierte. Von wegen! Der Typ in London hatte auch vorgegeben, zu telefonieren und ein Schaufenster zu betrachten. Unwillkürlich fiel mein Blick auf seine Handgelenke, auf der Suche nach einem Tattoo. Dem Tattoo. Abgesehen von einer ziemlich teuer aussehenden Uhr war da nichts. Während ich ihn noch misstrauisch musterte, legte er ein Glas in seinen Einkaufskorb und ging weiter.
Ich drehte meinen Wagen herum und reihte mich in die Schlange an der Kasse ein. Ich war den hektischen Einkauf in der Großstadt gewohnt, wo man Mühe hatte, seine Sachen schnell genug zu verpacken, sobald der Kassierer sie gescannt hatte, um sich nicht mit dem nächsten Kunden ins Gehege zu kommen. Hier nahm sich der Verkäufer Zeit, mit jedem Kunden ein Schwätzchen zu halten. Frage stellen. Gegenstand über den Scanner ziehen. Antwort anhören. Nächste Frage. Nächster Gegenstand. Obwohl nur drei Leute vor mir an der Reihe waren, dauerte es beinahe zwanzig Minuten, bis ich den Laden mit zwei Tüten verlassen und alles in meiner Gepäcktasche verstauen konnte. Und trotzdem fühlte ich mich gut. Allein den rauen schottischen Dialekt zu hören, gab mir das Gefühl, zu Hause zu sein.
Ich hätte mich gern noch ein wenig in Kyle umgesehen, mich unter die Touristen gemischt und mich zu erinnern versucht, welche Plätze und Orte mir noch von früher bekannt vorkamen, doch es drängte mich zurück zum Cottage, damit ich meine Suche fortsetzen konnte.
Leider hatte meine Begeisterung für die wirklich schöne Landschaft bald ein Ende. Das ständige Auf und Ab über die grünen Hügel wurde zur Qual und mit dem zusätzlichen Ballast der Einkäufe war ich bald so außer Puste, dass mir die Lungen brannten und ich das Gefühl hatte, jeden Moment einen Krampf in den Oberschenkeln zu bekommen– dabei trieb ich zu Hause Sport! Von Gus’ schweißtreibendem Training ganz zu schweigen.
Nach etwas mehr als der Hälfte des Weges stieg ich ab und schob das Rad am Straßenrand entlang. Ich war noch nicht weit gekommen, als mein Handy klingelte. Ein Blick auf das Display zeigte mir Peppers Namen und drei von fünf möglichen Balken. Zumindest hier schien der Empfang halbwegs passabel zu sein.
»H i, Peps«, meldete ich mich schnaufend.
»D u klingst, als würdest du gerade einen Marathon laufen.«
»S o ähnlich.« Ich erzählte ihr von meinem Ausflug zum Supermarkt und den endlosen Hügeln in dieser Gegend.
»D as Auto deines Dads ist also auch verschwunden?«
»N ein, das steht vor dem Haus.«
»W arum fährst du dann mit dem Fahrrad?«
»W eil ich sechzehn bin und meinen Führerschein erst in einem Jahr machen kann?«
»A ber du kannst doch Auto fahren.«
Das konnte ich tatsächlich. Peppers Schwester Ally hatte uns hin und wieder nachts auf einem verlassenen Supermarktparkplatz fahren lassen. Allerdings waren die kurvenreichen Straßen in den Highlands dann
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