Whiskey für alle
gestoßen, sodass sie zu Boden stürzte, und hast ihr dann nicht einmal aufgeholfen.«
»Ich war betrunken.«
»Betrunkensein rechtfertigt nicht tätliches Vorgehen gegen eine Frau.«
»Ich hatte gehört, dass sie Weihnachten nicht ausstehen kann.« Der Beschuldigte war merklich eingeschüchtert.
»Auch das rechtfertigt eine solche Handlungsweise nicht.« Shaun blieb unerbittlich und nahm eine kämpferische Pose ein. Der Trinker wich ängstlich zurück.
»Bevor ich dir eine vor den Latz knalle, möchte ich noch eine Sache richtigstellen«, verkündete Shaun Baun drohend. »Es ist nicht, wie du annimmst, dass meine Frau Weihnachten nicht ausstehen kann. Meine Frau gibt einfach nicht so viel auf das Fest, und das ist etwas völlig anderes.« Shaun fuchtelte wild herum, täuschte an, schnaubte, trippelte und holte schließlich zu einem kräftigen Hieb ins Gesicht seines Widersachers aus, dass der mit einem Schmerzensschrei zu Boden sank. Shaun half ihm sogleich wieder auf die Beine, versicherte ihm, damit sei Vergeltung geschehen und die Sache wäre für ihn erledigt. Dann reckte er sich zu seiner vollen Größe auf, und das waren ganze ein Meter sechzig, und warnte abschließend: »Und merk dir eins: Wage nicht, auf meine Frau auch nur einen Blick zu werfen; falls du es dennoch tust, brech ich dir beide Beine!«
Zum Beweis, dass er den Hinweis beherzigen würde, nickte der Saufbold eifrig. Möglicherweise würde er späterhin andere Frauen erschrecken, doch von Polly würde er in Zukunft ablassen. Polly selbst erfuhr nie etwas von der tätlichen Auseinandersetzung. Shaun hütete sich, ihr etwas davon zu sagen. Sie hätte ihn nur beschimpft. So aber blieb sie ihrer Haltung zum Weihnachtsfest treu, entfernte alle Stühle aus der Küche und schaffte sie in den Hinterhof, wo sie bleiben würden, bis die Festtage vorbei waren. Wenn es keine Stühle zum Sitzen gab, würden etwaige Besucher auch nicht lange bleiben, und mit dieser Schlussfolgerung hatte sie nicht unrecht.
Am Tag vor Heiligabend herrschte im Hutgeschäft reger Betrieb. Bevor ein Kunde sich zum Kauf entschloss, suchte er oft erst Pollys Rat. Das machte einen Gang in die Küche nötig. Seit Jahren lief das schon so. Besonders Leute aus der weiteren Umgebung und eingefleischte Junggesellen gingen in die Küche, um begutachten zu lassen, wie ihnen der Hut oder die Mütze stand. Nickte Polly die getroffene Wahl ab, kehrten sie in den Laden zurück und bezahlten bei Shaun. Es kam durchaus vor, dass Polly die Farbe oder auch die Form missfielen. Oder sie schüttelte den Kopf wegen der Hutgröße oder der Hutkrempe oder auch wegen der Machart. Das Geschäft florierte, weil die Kunden zufrieden waren, ganz gleich, ob sie zu den Zaghaften, den Unentschlossenen oder Wankelmütigen gehörten, alle schlossen die Ladentür hinter sich in der Gewissheit, dass sich niemand über sie wegen ihrer Kopfbedeckung lustig machen würde.
Die Zeit verging, und als auch nach außen hin klar war, dass den beiden kein Kindersegen beschieden war, geriet Polly Baun in den Ruf, etwas Grundsätzliches gegen Weihnachten zu haben. Niemand sagte ihr das ins Gesicht, und ihrem Mann schon gar nicht. Wiederum musste man der Gemeinde zugutehalten, dass niemand wirklich Anstoß an ihrer Haltung nahm. Man war an alles Mögliche gewöhnt. Da gab es zum Beispiel einen Handelsmann, der etwas außerhalb wohnte und der sich jedes Jahr etwa eine Woche vor Weihnachten aufs Land verflüchtigte, wo er eine kleine Hütte mietete, in der er blieb, bis Weihnachten vorüber war. Nicht, dass er etwas gegen Weihnachten hatte, oft genug hatte er das vor anderen bekundet. Er konnte einfach nicht den ganzen Rummel drum herum ertragen, all die Dekorationen, die Beleuchtung, die Weihnachtskarten, das Einkaufen von Geschenken, ganz zu schweigen von der Völlerei.
Es gab noch einen anderen Einwohner des Ortes, der Heiligabend die Tür von innen verschloss und sie einen Monat lang nicht aufmachte. Manche glaubten, er hielt so etwas wie Winterschlaf, und wenn er sich nach den vier Wochen wieder auf der Straße blicken ließ, sah er auch ganz so aus. Er war unrasiert, hatte total verfitztes Haar und ein leichenblasses Gesicht mit schwarzen Ringen unter den Augen.
Dann gab es welche, die zu Weihnachten dem Trinken entsagten, aus dem einfachen Grund, weil alle anderen dem Alkohol in diesen Tagen mehr zusprachen als sonst. Und dann gab es die, die nichts von dem traditionellen Festtagsessen hielten mit Pute oder Gans,
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