Whiskey für alle
auf der Seele. Ein Fußgänger ging ihm schleunigst aus dem Wege, als er beim Näherkommen den wild gestikulierenden und laut schimpfenden Mann sah. Shaun Baun aber stolperte unaufhaltsam vorwärts. Er versuchte krampfhaft, das unerträgliche Bild vor seinen Augen loszuwerden, vergebens, er sah es, als wäre es gestern geschehen.
In einem ganzen Trupp hatten sie damals den Pub verlassen und sich ein einschlägiges Etablissement gesucht, wo sie sich auch nach der Polizeistunde noch vergnügen konnten. Erst um sieben Uhr morgens war Shaun nach Hause gekommen, hatte nach dem Schlüssel gesucht und ihn nicht gefunden. Um und um hatte er die Taschen gekrempelt, doch sie brachten nichts zum Vorschein. Wie hundert Leidensgenossen in seiner Situation griff er zu anderen Mitteln. Zunächst klopfte er noch zaghaft ans Fenster, doch als sich nichts tat, nahm er eine Münze und pochte damit vorsichtig ans Oberlicht, und als auch das nichts brachte, drosch er auf die Tür ein.
Schließlich öffnete seine Frau und ließ ihn ein. Sie war im Morgenmantel und in Hauspantoffeln und hatte keine Mühe, sich seiner trunkenen Umarmung zu entziehen. Rasch durchquerte sie den Laden und erwartete ihn mit untergeschlagenen Armen in der Küche.
Es wäre klüger gewesen, sie hätte ihn nach oben und ins Bett befördert und sich jeglichen Streit für einen günstigeren Zeitpunkt aufgehoben. Aber in so jungen Ehejahren wusste sie noch nicht, dass es absolut nichts bringt, mit einem betrunkenen Ehemann zu diskutieren.
Sie begann mit der Frage, ob er wüsste, in was für einem Zustand er sei, was natürlich völlig absurd war. Und dann hagelte es die Fragen nur so: ob ihm klar wäre, wie früh am Morgen es wäre und dass er sie in wenigen Stunden zur Messe begleiten müsste. Er stand stumm da mit hängendem Kopf und hängenden Armen, unfähig, auch nur eine Antwort über die Lippen zu bringen. Er sehnte sich nach seinem Bett, selbst der blanke Fußboden hätte ihm genügt, doch sie hatte gerade erst angefangen. Sie hielt ihm all den Ärger vor, den er ihr in den drei Jahren ihrer Ehe gemacht hatte, seine Trinkgewohnheiten, sein Kotzen nach den Alkoholexzessen im Pub, seine unflätige Ausdrucksweise und das für sie Allerschlimmste, das peinliche Bild, das er für die Nachbarn abgab. Die Litanei kennen wir, wird der geneigte Leser jetzt sagen, an der ist uns nichts neu, die kriegen die armen Teufel bei solchen Gelegenheiten in den so genannten zivilisierten Ländern überall in der Welt zu hören. Doch ich muss darauf hinweisen, dass es in dem geschilderten Fall weniger um die Qualität als um die Quantität ging. Die Frau wurde des Zeterns nicht müde und hätte gut daran getan, in den vergangenen drei Jahren bei entsprechendem Anlass ihren Zorn abzulassen, anstatt ihn für einen nicht enden wollenden Wutausbruch aufzustauen.
Im Nachhinein sagte Shaun Baun, er konnte nicht anders, es war die einzige Möglichkeit, sie zur Ruhe zu bringen. Wenn es nur ab und an leise Vorwürfe gewesen wären, hätte er sie geduldig über sich ergehen lassen, aber sie fand ja kein Ende. Wenn er zwischendurch mal wegnickte, schrie sie ihm ins Ohr, sodass er gleich wieder, wenn auch trunken, hochschreckte. Schließlich vermochte er es nicht länger zu ertragen. Ihre Stimme überschlug sich förmlich, sie schien selbst erstaunt über das, was ihre Stimmbänder hergaben.
Leider hatte sie nichts von den vielen Frauen aus der Nachbarschaft gelernt, die genügend Erfahrung mit ähnlich zügellosen Männern hatten. Gewiss hätte sie sich dann anders verhalten und sich die Beschimpfungen am Weihnachtsmorgen erspart. Aber so war sie fest überzeugt, nur sie wäre mit dem erbärmlichen Zustand der schwankenden Gestalt vor ihr gestraft und allein ein drastisches Herunterputzen würde den Trunkenbold ein für alle mal heilen.
Immer wenn er versuchte, ein bisschen außer Hörweite zu gelangen, packte sie ihn bei den Schultern und zwang ihn, stehen zu bleiben. Trotz aller Trunkenheit gelang es ihm, den Tisch zwischen seine Frau und sich zu zerren. Eine Weile spielten sie Katz und Maus, aber das trieb ihn an den Rand der Erschöpfung, während sie sich in ihrem Wortschwall nur noch steigerte. Er war wie benebelt und wusste nicht mehr, was er tat. Erst als sie zu Boden gestürzt war, ging ihm auf, dass er zugeschlagen hatte.
Später suchte er sich damit zu entschuldigen, dass er sie nur beiseiteschieben wollte, um auf der Treppe nach oben entweichen und Zuflucht in der
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