Whiskey für alle
Plumpudding oder Braten. Einer behauptete, ein Ei täte es auch, und ein anderer erklärte, dass die, die Geflügel äßen, sich für den Rest des Lebens die inneren Organe versauen würden.
Polly Baun war also nicht die Einzige mit ihrer Haltung, andere Beispiele ließen sich genügend finden. Einige Leute entschuldigten ihr Verhalten damit, dass sie einen guten Grund haben mochte, über den sie nicht sprach, die meisten aber nahmen hin, was Shaun sagte, dass sie einfach nicht so viel auf das Weihnachtsfest gab.
Manchmal drangen kleine Kinder bis an die Küchentür vor, wenn sich ihre Eltern im Laden nach passenden Hüten umschauten. Sie guckten dann durch die getönten Glasscheiben und machten sich gegenseitig auf den Schatten der Frau aufmerksam, von der sie gehört hatten, sie schere sich nicht um Weihnachten. Oft tuschelten sie miteinander, und ein wissender Gernegroß verkündete: »Das ist die Frau, die Weihnachten nicht ausstehen kann.« Polly reagierte nie darauf. Manchmal wurde sie auf der Straße — besonders in den Tagen vor Weihnachten — von Einkaufslustigen neugierig angestarrt, weil deren Freunde oder Bekannte ihnen von ihrer merkwürdigen Abneigung erzählt hatten. Sie ließ sich nie etwas anmerken.
Zur Weihnachtszeit spürte selbst Shaun bei seinen Wirtshausbesuchen, dass ihn manche Gäste scheel ansahen. Er trank nur wenig, nicht mehr als ein paar Gläser Stout mit einem Freund, aber nie Whiskey. Dabei war er früher ein starker Whiskey-Trinker gewesen, hatte damit dann ganz plötzlich aufgehört und seitdem nie wieder einen Whiskey angerührt. Niemand wusste warum, auch nicht seine engsten Freunde. Es blieb allen ein Rätsel. Er war eines Nachts ziemlich volltrunken nach Hause gegangen, und am darauf folgenden Abend hielt er sich völlig zurück. Natürlich gab es unendliche Spekulationen, aber niemand kam hinter den wahren Grund, und da seine Freunde wussten, wie leicht er aufbrausen konnte, hakten sie nicht weiter nach. Auch brachten sie ihm gegenüber nie die Haltung seiner Frau zu Weihnachten zur Sprache, nur hinter seinem Rücken fiel das eine oder andere Wort, doch wie die meisten in der Gemeinde maßen sie dem keine große Bedeutung zu. Aber natürlich gab es einen Grund dafür. Es musste einen geben, wenn man davon ausgeht, dass nichts grundlos geschieht.
Am Heiligabend herrschte in der Gastwirtschaft fröhliche Stimmung und Ausgelassenheit. Einer von Shaun Bauns Saufbrüdern hatte auf Anraten seines Arztes das Whiskey-Trinken aufgegeben und mutmaßte, dass aus eben dem Grund auch Shaun die Finger vom Whiskey ließ. Höflich, aber entschieden hatte Shaun ihm verklickert, dass seine Enthaltsamkeit nichts mit Ärzten zu tun hatte, sondern eine rein persönliche Entscheidung war. Der Abend war für ihn verdorben. Er war nicht gewillt, im Wirtshaus seine wahren Beweggründe offenzulegen, schlich sich zeitig davon, schlen-derte bis zum Rand der Stadt, machte dann kehrt und ging schnellen Schrittes heimwärts. Für einen Außenstehenden schnappte ein ermüdeter Ladenbesitzer nur ein wenig frische Abendluft, dabei war er in innerer Aufruhr, und das nur wegen des Gesprächs über Whiskey im Pub. Niemand wusste besser als Shaun, weshalb er vom Whiskey gelassen hatte, seine Frau ausgenommen.
Beim Laufen ballte und öffnete er die Fäuste und verfluchte den Tag, da er zum ersten Mal zum Whiskeyglas gegriffen hatte. Er musste daran denken, wie er sie geschlagen hatte und warum, und als das Bild wieder vor ihm auftauchte, warf er die Arme in die Höhe und schluchzte, schluchzte bitterlich wie immer, wenn die grässliche Erinnerung in ihm hochstieg. Damals, als das alles geschah, hatte er seit dem frühen Nachmittag getrunken. Jedes Mal, wenn er einen Hut verkauft hatte, war er zusammen mit dem Käufer über die Straße in den Pub gerannt. Erst hinterher war ihm aufgegangen, dass er noch nie so viel Whiskey in so kurzer Zeit in sich hineingeschüttet hatte. Er hatte das Geschäft geschlossen und seiner Frau erklärt, er würde wieder rüber in die Wirtschaft gehen. Es nützte nichts, dass sie protestierte. Sie bat ihn, etwas zu essen. Sie beschwor ihn, nicht noch mehr Whiskey zu trinken, es bei Bier zu belassen. Er versprach es und küsste sie und schoss los, um sich mit Whiskey volllaufen zu lassen. Später entschuldigte er sich damit, dass er jung und ungestüm gewesen sei, aber dass er damals die Faust gebraucht hatte, konnte er sich nie verzeihen; es lastete ihm für den Rest seines Lebens
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