Whisper Island (01) - Sturmwarnung
ein Flussdampfer und wurde von Möwen umkreist.
Die Schlange vor Ivar’s Imbiss war kürzer geworden, als Becca dort ankam. Sie bestellte eine Muschelsuppe und vergewisserte sich vorher, dass sie nach Neuengland-Art mit Milch und Kartoffeln zubereitet war und somit schwindelerregend viele Kalorien hatte. Sie bat um einen zusätzlichen Beutel Cracker, die sie in der Suppe schwimmen ließ, und bezahlte mit Kleingeld. Sie legte sorgfältig eine Münze nach der anderen auf die Theke, und oh verdammt, was soll der Mist, du dummes Huhn? verriet ihr, dass die Verkäuferin darüber alles andere als erfreut war. Becca sah auch warum, als die Verkäuferin die Münzen mit Fingern ohne Fingernägel von der Theke fischen musste. Sie hatte sich die Nägel bis zum Nagelbett abgekaut. Es war ein hässlicher Anblick und Becca konnte der Verkäuferin ansehen, dass sie es hasste, sie zu zeigen.
Becca überlegte, sich zu entschuldigen, bedankte sich jedoch stattdessen nur und schlenderte mit ihrer Muschelsuppe hinüber zum Zeitungskiosk. Sie stellte die Plastikschüssel mit der Suppe ab und steckte den Löffel hinein, während sie zusah, wie sich die Fähre dem Festland näherte.
Das Essen entsprach nicht ihren Erwartungen. Sie hatte gedacht, dass es wie die Muschelsuppe ihres vorvorletzten Stiefvaters schmecken würde. Er hieß Pete und bereitete seine Suppe mit Mais zu, und Becca liebte Mais. Popcorn, Maiskolben, gefrorener Mais. Es spielte keine Rolle. Laurel behauptete, man füttere Kühe und Schweine mit Mais, damit sie fett wurden, aber da Laurel das über fast alles sagte, was Becca gerne aß, zerbrach sie sich darüber nicht weiter den Kopf.
Doch diese Muschelsuppe hier war einen Streit mit Laurel einfach nicht wert. Deshalb aß Becca sie nur zur Hälfte auf. Dann warf sie die Plastikschüssel in einen Mülleimer und rannte zurück zum Explorer.
Laurel telefonierte gerade. Ihr Gesicht sah ohne die übliche Sprühbräune grau und runzlig aus. Zum ersten Mal kam sie Becca alt vor, aber dann lächelte Laurel und nickte und fing an, auf die für sie typische Art loszuplappern, bei der niemand anderes zu Wort kam. Bestimmt redete sie gerade wieder auf Carol Quinn ein, dachte Becca. Ihre Mom hatte sie seit ihrer Flucht zweimal am Tag angerufen, um sicherzugehen, dass jedes kleinste Detail ihres Plans unwiderruflich in Stein gemeißelt war.
Ihre Blicke trafen sich und Becca hörte: niemand kommt zu Schaden , aber der Gedanke brach abrupt ab, so wie eine Radiosendung abrupt abbricht, wenn jemand den Sender wechselt, und was als Nächstes über den Äther kam, war: ein Licht wenn vom Land und zwei wenn von der See und ich am anderen Ufer werd stehn. Es war wie das Rauschen aus der AUD-Box und funktionierte genauso gut. Laurel sagte etwas in ihr Handy und beendete das Gespräch.
Becca setzte sich auf den Beifahrersitz. Ihre Mutter fragte scharf: »War das Muschelsuppe mit Kartoffeln, die du da gegessen hast?«
Becca erwiderte: »Ich hab sie nicht ganz aufgegessen.«
Dann reite ich los und schlage Alarm, in jedem Dorf und auf jeder Farm ersetzte, was Laurel eigentlich sagen wollte, doch es spielte keine Rolle und Becca teilte ihr das auch mit: »Hör auf damit«, sagte sie. »Ich weiß sowieso, was du denkst.«
Laurel entgegnete: »Lass uns jetzt nicht streiten.«
Sie streckte die Hand nach ihrer Tochter aus und strich ihr durchs Haar. »Wenn die Fähre anlegt, wird Carol schon dort sein und auf dich warten«, sagte sie ruhig. »Sie hat einen Pick-up für das Fahrrad, mach dir deswegen also keine Sorgen. Sie weiß, wie du aussiehst, und falls sie noch nicht da sein sollte, wenn du ankommst, musst du einfach eine Weile warten. Sie wird dann sicher bald kommen. In Ordnung, Schatz? Hey, hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Becca hatte es gehört. Sie hatte die Worte gehört. Sie spürte auch die Gefühle, die in ihnen mitschwangen. Sie sagte: »Es ist nicht deine Schuld, Mom.«
»Es gibt mehr als eine Art von Schuld. Wenn du das noch nicht weißt, wirst du’s bald herausfinden, glaub mir.«
Becca griff nach ihrem Rucksack im Kofferraum des Fords. Laurel sagte: »Wo ist deine Brille? Du musst sie jetzt aufsetzen.«
»Niemand schaut mich an.«
»Du musst sie aufsetzen. Du musst es dir angewöhnen. Wo ist die Extrapackung Haartönung? Wie viele Batterien für die AUD-Box hast du dabei? Wie heißt du? Wo ist deine Mutter?«
Becca blickte sie an. Hört her, meine Kinder, hört her, meine Kinder , aber es war völlig unnötig,
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