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Whisper

Whisper

Titel: Whisper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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brach der Dosenturm in sich zusammen, dutzende von Dosen rollten über den Boden und der Mann saß mittendrin. Im ersten Augenblick war Noa starr vor Schreck, aber die Situation war so komisch und David, der noch immer im Wagen saß, prustete so haltlos hinter seiner Hand hervor, dass Noa nicht anders konnte. Sie musste mitlachen.
    Der Mann rappelte sich auf, klopfte sich die Hosenbeine ab und sah Noa an. Er hatte ein Muttermal, kreisrund und schwarz, direkt auf seinem linken Wangenknochen. Obwohl der Mann nicht besonders groß war, wirkte er kräftig und sehr männlich. Sein Gesicht war ernst, die Lippen schmal und die eng beieinander liegenden Augen unter den dichten Brauen so dunkel, dass sie sich kaum von den Pupillen abhoben. Er sagte kein Wort, auch nicht zu dem Verkäufer, der jetzt angerannt kam und wissen wollte, was passiert war.
    Der Mann zuckte nur mit den Schultern, nahm sich eine von den Dosen, nickte David zu – und bog um die Ecke.
    »Kennst du ihn?«, fragte Noa, nachdem sie und David dem Verkäufer geholfen hatten die Dosen wieder aufzustellen.
    »Oder wieso nickt der dir zu?«
    »Er wohnt bei uns im Dorf«, sagte David. »Ziemlich abgelegen, unten am Wald. Der Typ ist Maler, er nennt sich nur Robert, einen Nachnamen kenne ich nicht. Manchmal macht er Sachen in der Natur, reichlich abgefahrenes Zeug, wenn du mich fragst. Ich habe meine Mutter und Gustaf mal nach ihm gefragt, aber die sagten nur, von dem hält man sich besser fern. Im Dorf spricht auch sonst keiner von ihm.«
    David griff nach dem Wagen. »Komm, wir sollten los, sonst wirft deine Mutter mich noch raus, weil ich mich mit dir in der Gegend rumtreibe, anstatt zu arbeiten. Das willst du doch nicht oder etwa doch?«
    David strich sich das helle Haar aus dem Gesicht und zwinkerte Noa zu, aber sie drehte nur den Kopf weg, ganz rasch, damit er nicht sah, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
    Dann besorgten sie die Sachen, die David vorhin aufgezählt hatte, und machten sich auf den Weg zurück ins Dorf.

FÜNF
    Heute war ich bei Marie, dem Mädchen mit den blonden Zöpfen und dem kratzigen Rock. Sie ist schon fast sechzehn, aber sie fürchtet sich vor Geistern wie ein Kind. Sie sagt, es wohnt einer in ihrem Schrank. Ich flüstere, dass ich ihn spüren kann, dass ich glaube, er wolle mit ihr sprechen. Ich sage Marie, sie soll ihn rufen, und als sie blass wird, lache ich sie aus.
    Eliza, 11. Juli 1975
    E s war, als hätte die Zeit Flügel bekommen, so schnell verging der Tag – trotz der grau-schweren Schwüle, die draußen herrschte. Die Sonne ließ sich nicht blicken, auch am Nachmittag nicht, und die Luft wurde stündlich drückender. Gilbert rieb sich ständig Tigerbalsam gegen seine Kopfschmerzen auf die Schläfen, Kat schimpfte, dies sei nicht der Sommer, den sie bestellt hätte, und selbst den Katzen schien das Wetter zu schaffen zu machen. Pancake lag den ganzen Tag zusammengerollt auf Noas Bett und Hitchcock döste vor den Stufen des Dachbodens. Nur Noa machte das Wetter nichts aus. Gegen Davids Scherze, sein offenes, bei jeder Gelegenheit hervorbrechendes Lachen und seine plötzlich so strahlenden Augen, die mehr als einmal Noas Blick einfingen, kam der graue Himmel nicht an.
    David leistete ganze Arbeit. Mit Noas Hilfe strich er die Wände weiß, die hölzernen Balken an der Decke schwarz und holte zusammen mit Kat das Bücherregal aus dem Flur herein.
    Am Abend war der Wohnraum zu einem Wohnzimmer geworden, schlicht, bäuerlich, aber herrlich gemütlich mit dem alten Kachelofen, den beiden Ohrensesseln, den altmodischen Lampen, dem zerschrammten Bücherregal und dem großen Esstisch, auf den Kat einen Kerzenleuchter mit dunkelroten Kerzen und einen bunten Strauß Wiesenblumen aus dem Garten stellte.
    Und dann kochte sie Noas Lieblingsgericht: Coq au Vin mit Rosmarinkartoffeln und frischem Feldsalat.
    Später hatte Noa sich oft gefragt, was geschehen wäre, wenn sie das Spiel an jenem Abend nicht gespielt hätten. Wenn sie einfach nur zusammengesessen, sich unterhalten, Karten gespielt oder ferngesehen hätten, wie das normale Leute eben tun. Aber sie waren keine normalen Leute, jedenfalls nicht Gilbert und Kat. Sie hatten das Spiel gespielt – und der Vorschlag dazu war seltsamerweise von David gekommen.
    Sie saßen am Esstisch im Wohnraum. Die Teller waren leer gekratzt, der Champagner, den Kat zum Feierabend spendiert hatte, kribbelte in Noas Kopf und Kats lautes Lachen über Gilberts Geistergeschichten drang bestimmt bis

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