Whitley Strieber
ein Busfahrer auszusehen. Mit solchen Horror- Klamotten kommen Sie nirgendwo rein.«
»Die Sachen sind brandneu.«
»Gehen Sie zu Shambles in der Prince Street. Dort gibts alles. Be- sorgen Sie sich einen Hut, schwarze Klamotten, künstliche Fingernä- gel.« Sie kicherte. »Lassen Sie sich piercen, Officer, dann schließen wir Sie alle ins Herz!«
»Ich kann Sie piercen«, rief eine Stimme.
»O Scheiße«, murmelte eine andere Stimme.
Paul ging zu den beiden an den Tisch. Er war sich nicht sicher, ob er es mit einem Mann und einer Frau, zwei Frauen oder zwei Männern zu tun hatte. Nichtsdestotrotz setzte er sich zu ihnen. Er wollte ja nicht ins Bett mit ihnen. Oder sich piercen lassen. »Ich suche Ellen Wunder- ling«, sagte er.
»Mister Wunderling ist abgenippelt«, sagte der, der eher wie ein Mann aussah. Sein Mund war voller Kartoffelchips.
» Miss Wunderling.«
»Sie müssen tief rein in den Dschungel, Mann, richtig tief. Versuchen Sie es im Hexion oder im Hellfire Club –«
Die Frau – Paul war sich nun sicher, dass es eine Frau war und dass sich unter all dem Vampirella-Make-up ein gewöhnliches Mädchen aus Queens verbarg – schüttelte den Kopf. »Das Hexion ist ein Kanniba- len-Laden«, sagte sie. »Dort gibt's Hirnsuppe.«
»Kein echtesHirn.«
»Und was ist mit dem Hellfire Club?«
»Ein Katholiken-Treffpunkt. Wird von ehemaligen Nonnen geführt.« »Irgendeine Verbindung zu Ellen Wunderling?«
»Er sollte es im Veils versuchen.«
»Ja, er und der Graf von Monte Christo.«
»Was ist das Veils?«
»Der exklusivste Club in ganz Manhattan.«
»Auf der ganzen Welt.«
»Ist doch dasselbe. Jedenfalls wurde Ellen Wunderling dort das letzte Mal lebend gesehen.«
15
Der Tanz des Skorpions
Im Allgemeinen interessierten Leo Miriams und Sarahs lesbische Spiele nicht, aber ihnen hautnah zuzuschauen und Sarah mit solcher Leidenschaft explodieren zu sehen, war in höchstem Maße erregend. Wenn Miriam sie bisher geküsst hatte, hatte sie sich höflich gegeben und so getan, als gefiele es ihr, aber wirklich erregt hatte es sie nicht. Was hier in der Limousine geschehen war, hatte dagegen ohne Zwei- fel ihr Blut in Wallung gebracht.
Vor ihrer Zeit im Veils war sie ein einsames, reiches Mädchen gewe- sen. Ihr gesellschaftlicher Status gründete vor allem auf dem Umstand, dass sie die Tochter des zweiten Cousins von General Patton war. Sie besaß ein Loft in einem Künstlergebäude, in dem hauptsächlich Maler und Bildhauer wohnten. Außerdem gehörten ihr ein Maserati und eine kleine Yacht mit dem Namen Freie Fahrt für alle, aber diese großzü- gige Einladung schien kaum jemanden zu interessieren.
Eines Morgens gegen vier, als sie längst völlig hinüber war, hatte Mi- riam zu ihr gesagt: »Komm mit zu mir.« Sie hatten einen vergnüglichen Abend verbracht und viel miteinander gelacht. Trotzdem hatte sie die Einladung erstaunt, denn sie gehörte nicht zum Kreis der angesagten Leute, die Miriam sich sonst ins Haus holte.
Ehe sie sich versah, wurde sie mit der Haushaltsführung betraut und bekam ein kleines Zimmer mit hübschen Vorhängen und einem Mes- sing-Himmelbett zugewiesen. Im Laufe der Zeit erfuhr sie, was zwi- schen Miriam und Sarah lief. Sie schliefen miteinander, und sie ... – nun, es war kaum zu glauben, aber nun war sie eine von ihnen. Sie kniff die Zehen in ihren Schuhen zusammen. Es war unfassbar, mit einem Mal so mächtig zu sein. Sie war nie mächtig gewesen. Nun aber war sie es. Sie konnte auf jemanden zeigen und sagen: »Den will ich«, und anschließend würde die Person die einschneidendste Erfah- rung seines oder ihres Lebens machen.
Sie wollte ihr erstes Opfer aussaugen. Obwohl sie eigentlich kaum Hunger hatte. Sie wollte einfach, dass es geschah.
Es war unglaublich, wie lange sie leben würde. Aber wenn sie über- legte, was für Antikstücke Miriam besaß, zum Beispiel aus dem Alten Ägypten ... Einige der Stühle im Haus waren dreitausend Jahre alt.
Leo hatte sich informiert und herausgefunden, wie viel sie wert waren. Ein Stuhl wie der, auf dem Miriam bei der Musikdarbietung gesessen hatte, würde bei Sothebys locker eine Million Dollar erzielen. Sie würde die Zukunft erleben. Raumschiffe, Außerirdische, was auch immer kommen mochte. Es sei denn, die Welt ging unter. Glo- bale Erwärmung, gab es das wirklich? Miriam pflegte zu sagen: »Es kommt so, wie es kommt.« Das war die einzig vernünftige Einstellung. Sie fuhren vor dem Club vor. Großartig. Sie war schon
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