Whitley Strieber
äu- ßerst kostbar, denn es war alles, was sie hatten, zumindest war Paul dieser Meinung. Seiner Meinung nach hatte die Natur ihnen – potenzi- elle – Unsterblichkeit geschenkt, ihnen aber dafür keine Seele gege- ben. Verdammt, sie waren Tiere, und sie wussten es.
Wenn dies also keine Kriegserklärung oder Verhöhnung war, musste es etwas anderes sein. Tatsache war, dass Paul und seiner Mann- schaft die gesamte Vampirwelt offenbart worden war, nachdem die NSA die Sprache im Buch der Namen entschlüsselt hatte. Er war in die Staaten zurückgekehrt und Chef einer neuen Abteilung geworden, deren Aufgabe darin bestand, dieses Übel vom Antlitz der Erde zu til- gen. Nun operierten auf jedem Kontinent Einheiten nach den Metho- den, die Paul und seine Leute entwickelt hatten.
Einer der Gründe, weshalb er nach Abschluss seines Auftrags in Asien umgehend in die Staaten zurückkehren wollte, war der Um- stand, dass er sich mit einem blöden, aber möglicherweise ernsthaften Problem auseinander setzen musste. Der Direktor der CIA hatte eine entscheidende juristische Grundsatzfrage aufgeworfen: Sollte man
diese Wesen als Menschen betrachten oder als Tiere? Wenn sie Men- schen waren, dann verübten sie Verbrechen und erlegten keine Beute. Diese Kreaturen zu Menschen zu erklären würde eine völlig neue Herangehensweise erforderlich machen. Man würde sich an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit halten, Gerichtsverfahren einleiten und Haftstrafen aussprechen müssen – und langwierige juristische Auseinandersetzungen dieser Art dürften Vampiren mehr als gelegen kommen. Denn der Vampir war stark und schnell und verdammt schlau. Er konnte aus jedem Gefängnis ausbrechen.
Es war fast unmöglich, sie zu töten. Etwas in ihrem Blut verlieh ihnen außergewöhnliche Selbstheilungskräfte. Man musste ihnen den Kopf wegblasen und die Kreatur danach zu Asche verbrennen, um vollkom- men sicher zu sein, dass sie tot war. Anschließend musste man ihr Versteck vollständig mit Säure ausräuchern.
Wie konnte man etwas, das in einem stinkenden Vampir-Dreckloch hauste, als Mensch bezeichnen?
Aber nachdem die Mühlen der Bürokratie einmal in Gang gesetzt worden waren, konnte er sie nicht mehr anhalten. »Wie kommt eine Horde wahnsinniger Geheimagenten dazu, in Asien Leute abzu- schlachten?« »Wer sind diese ‘Vampire’, eine terroristische Vereini- gung? Eine Geheimgesellschaft? Was zum Teufel geht da vor?« Ein paar singende und auf Gongs trommelnde Thais marschierten am Wagen vorüber. Paul wurde schlecht, wenn er einen asiatischen Trauermarsch sah. Er musste den Lärm irgendwie übertönen, auf kei- nen Fall jedoch mit einem thailändischen Radiosender, denn Asiaten, Gott hab sie selig, hatten noch nicht begriffen, was vernünftige Musik war. »Gibt es in diesem Wagen irgendwelche CDs?«
»Destiny's Child, Santana und Johnny Mathis. Und irgendeine Oper.«
»Leg die Oper ein, und dreh sie voll auf.«
»Jawohl, Sir.« Der Junge klang enttäuscht. Was hätte er wohl einge- legt? Bestimmt Destiny's Child.
»Lauter! Ich will, dass meine Ohren bluten! Gibt's hier Zigarren im Wagen?« Paul war ein zügelloser Genussmensch. Er liebte edle Weine, und zwar kistenweise. Dasselbe galt für Wodka. Er rauchte das stärkste Opium, das es gab, und wollte von allem nur das Beste, das Exotischste, das Lieblichste und Köstlichste, das die Welt zu bieten hatte. Eine seiner größten Enttäuschungen war, dass es der Firma nicht gelungen war, Fidel Castro umzubringen oder, noch besser, sich
mit ihm zu arrangieren. Der Verlust kubanischer Zigarren war ein her- ber Schlag gewesen.
Mein Gott, das war Maria Callas!
»Lauter!«
»Lauter geht nicht!«
Er beugte sich zum Armaturenbrett vor und riss den Lautstärkeregler bis zum Anschlag auf.
O Gott, Lakmé. O Gott, der ‘Bell Song’. Dass diese Frau, diese Göt- tin Maria Callas, gelebt hatte, war ein Beleg dafür, dass der Mensch dem lieben Gott nicht gleichgültig sein konnte. Etwas so Wunderbares konnte nicht zufällig entstanden sein. »Hey, Junge!«
Keine Antwort.
»JUNGE!«
»Jawohl, Sir!«
»Diese Göttin heißt Maria Callas. Hast du jemals eine Frau angebe- tet?«
»Sir?«
»Es ist ein sehr spezielles Vergnügen, das versichere ich dir. Es gibt nichts Besseres, als ein so sanftes, göttliches Wesen wie eine Frau zu verehren.«
»Okay.«
Er hatte sein ganzes Leben lang den Göttern der Weiblichkeit gehul- digt. Drei Ehen, sechs Geliebte und genügend Huren, um eine kleine
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