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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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höchst charmanter Zeitgenosse gewesen. Sie hatte noch sein Bild vor Augen, wie er, in die leuchtenden Brokatstoffe der damaligen Epoche gehüllt, durch die Gegend stolzierte, eine gepuderte Perücke auf dem Kopf und einen Gehstock mit Goldknauf in der Hand. In Dingen der Mode konnte ihm damals niemand etwas vormachen; er schäkerte mit Herzoginnen und spielte Karten am Tisch des Königs. Unter den Hütern galt er als Fach- mann für die Sitten und Gebräuche der Menschen.
    »Wir beide sind immer Seelenverwandte gewesen, Martin.« »Ich habe oft an dich gedacht, Kind. Lebst du noch immer unter ih- nen?«
    »Ich besitze in New York einen Nachtclub, der sehr façonnable ist. Und ich habe eine menschliche Geliebte namens Sarah.«
    »Das ist deine Sache.«
    »Es ist sehr nützlich, einen Menschen zu haben, der einem dient.« Oder er könnte sehr nützlich sein, wenn er denn endlich mal ans Tele- fon ginge.
    »Ich kenne nicht einmal die Namen meiner Häscher.«
    Sie hatten ihn all die Jahre lang unbehelligt gelassen und waren nur eingeschritten, wenn er, ihrer Auffassung nach, im Begriff war, einen

der ihren zu ‘ermorden’. Es konnte nur einen einzigen Grund für diese Vorgehensweise geben: Er war ein Köder und dieses Haus eine Falle. Wahrscheinlich waren sie schon auf dem Weg hierher. Denn sie hat- ten zweifellos das gesamte Gebäude verwanzt. Vielleicht hatten sie sogar Kameras installiert. Sie konnten Kameras von der Größe einer Fingerspitze herstellen und Mikrofone, die nicht größer waren als ein Staubkorn. Sarah verwendete diese Dinge für das Sicherheitssystem im Veils.
    »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte sie.
    »Aber ich – wohin?«
    Sie stand auf. »Gibt es irgendwelche entflammbaren Substanzen im Haus?«
    »Wozu?«
    »Um Feuer zu legen! Chemikalien! Benzin!«
    Er deutete auf einige Stahlfässer, die neben den Gerbbottichen an der Wand standen.
    Sie ging hinüber und riss den weichen Aluminiumdeckel von einem der Fässer. Es war eine Chemikalie, die aber nicht entflammbar roch. Das nächste Fass enthielt dasselbe Zeug.
    Aus dem dritten jedoch stieg ihr der herrlich ätherische Geruch von Erdöl in die Nase. Der Rohstoff war so lange durch ihre Raffinerien ge- pumpt worden, bis er sich in Benzin verwandelt hatte. »Dies treibt ihre Autos an.«
    »Ich weiß, was Benzin ist.«
    Sie schleuderte das Fass in die Mitte des Raumes. »Ist der geheime Fluchtweg noch derselbe?« Jeder Hüter hatte einen, meist sogar meh- rere. Es gab spezielle Fluchtwege für alle Arten von Notfällen, für Feuer, für Überraschungsangriffe und so weiter.
    »Ja, er ist derselbe.«
    Das Benzin war vollständig ausgelaufen und hatte sich über den ge- samten Fußboden verteilt. Miriam nahm das leere Fass und walzte da- mit so lange über die Leiche hinweg, bis diese nur noch ein Sack zer- riebener Knochen war. Dann warf sie sie in das Benzin, um sicherzu- gehen, dass sie vollständig verbrannt werden würde.
    Genau in diesem Augenblick hörte sie ein knarrendes Geräusch an der Tür. Sie packte Martin bei den Schultern und legte die Lippen dicht an sein Ohr. »Sie sind vor dem Haus«, flüsterte sie. »Sie werden jeden Moment durch die Tür und die Fenster hereinstürmen.«
    Er bleckte die Zähne, sodass sein Mund nur eine hässliche Öffnung

bildete. O ja, dieses geschundene Geschöpf hasste die Menschen aus vollem Herzen. Sie nahm seine noch immer eiskalte Hand und führte ihn zur rückwärtigen Wand, wo früher die Abfälle der Gerberei in das seit langem zubetonierte Flüsschen Bièvre geschüttet worden waren. Vom Boden aus zählte sie einen, zwei, drei Steinquader nach oben ab. Sie drückte gegen den, auf dem nun ihre Hand lag.
    Plötzlich zerriss greller Sonnenschein die Dunkelheit. Der Eingang war ein gleißend heller Lichtfleck, durch den schemenhafte Gestalten hereingehuscht kamen. Martin stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, ein Aufheulen, das nur der Kehle eines zornentbrannten Hüters entspringen konnte. Da sie diesen Laut so selten vernommen hatte, ließ Miriam sich davon anstecken und begann ebenfalls zu schreien, den Kopf zurückgeworfen und die Dachbalken anheulend.
    » Essence!«
    Der Menschenschrei ließ sie verstummen. Die Kreaturen rannten durch die weitläufige Eingangshalle. Sie trugen Netze und Schusswaf- fen. Sie spürte, dass ihr Tränen der Wut über die Wangen liefen. Sie war fast gelähmt vor Hass, denn diese Kreaturen wagten es tatsäch- lich, sie anzugreifen. Doch sie gab sich diesen

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