Whitley Strieber
es gab tatsächlich etwas, das er in der Zwischenzeit tun konnte, etwas verdammt Nützliches.
Becky hatte zwei Pariser Stadtviertel erwähnt: Das 9. und 13. Arron- dissement. Er klappte seinen Laptop auf und loggte sich in die Daten-
bank der CIA ein. Das System offerierte zwar keine magischen neuen Erkenntnisse über den Lauf der Welt, aber jede Menge Informationen und unzählige Einzelheiten. Man fand dort praktisch alles, was bedeut- sam war, und seine Autorisationsstufe berechtigte ihn zu einer Eche- lon-Suche nach Stichworten, die für diese Operation relevant sein mochten. Echelon würde nach ihnen in den Milliarden Telefongesprä- chen, E-Mails, Funkübertragungen und Faxsendungen Ausschau hal- ten, die es weltweit rund um die Uhr überwachte, und augenblicklich Alarm schlagen, wenn es eines der eingegebenen Stichworte fand. Das Problem war, dass man verdammt differenziert sein musste, um ein Resultat zu erhalten. Was mochte die Reisende bei einem Telefon- gespräch sagen – welche speziellen, einzigartigen Worte würde sie verwenden? Er wusste ja nicht, wen sie anrufen oder wohin sie gehen würde, ja nicht einmal, ob Paris ihr endgültiges Reiseziel war. Die CIA-Datenbank verfügte unter anderem über einen reichhaltigen Bestand an deutlich besseren Straßenkarten, als es die waren, die man überall kaufen konnte, darunter auch Karten von Paris, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen angefertigt worden waren. Ur- sprünglich für den Haus-zu-Haus-Kampf gedacht, enthielten sie detail- lierte Grundrisse aller Gebäude und Pläne des Kanalisationssystems mit allen nur erdenklichen Informationen, bis hin zu der Frage, welche Schächte und Rohrleitungen groß genug für einen Menschen waren. Die Deutschen hatten diese Karten für die meisten europäischen Städte angefertigt. Natürlich waren die meisten längst veraltet, und wie viele andere wusste Paul, dass die desaströse Bombardierung der chi- nesischen Botschaft während des Kosovo-Kriegs nur deswegen ge- schehen war, weil sich der amerikanische Generalstab auf eine unzu- länglich überarbeitete alte Wehrmacht-Straßenkarte von Belgrad ver- lassen hatte. Seitdem waren alle Karten in der CIA-Datenbank mit ei- nem Vermerk versehen worden, wann sie zum letzten Mal überarbeitet worden waren.
Er sah, dass die Karte vom 9. Arrondissement seit 1944 nicht verän- dert worden war. Die Legende und die Straßennamen waren noch im- mer auf Deutsch geschrieben, was nicht sehr anheimelnd aussah. Im Gegensatz dazu hatten die Franzosen die Karte vom 13. Arrondisse- ment 1998 überarbeitet, und eine Anmerkung besagte, dass dies seit- dem jedes Jahr geschah.
Er beugte sich vor und starrte konzentriert auf den Bildschirm. Er musste sich jede Straße einprägen, jedes Abwasserrohr, jeden Ge-
bäudegrundriss.
Der Vampir kannte seine Welt bis in den allerletzten Winkel. Er würde stets in den richtigen Tunnel rennen, jeden Schatten ausnutzen, konnte alle Mauern und Dächer erklimmen. Er konnte die Kanalisation wie ein unteriridisches Straßennetz benutzen und kannte jeden einzel- nen Fenstervorsprung und jede rostige Dachrinne.
Paul hatte, zumindest anfangs, Vampire nicht für besonders klug ge- halten. Er hatte nicht an ihre Intelligenz geglaubt, bis ihn zum ersten Mal ein scheinbar kleiner, hilfloser Vampir aus seinen dunkel glänzen- den Augen angestarrt hatte. Auf dem Gesicht des Vampirs hatte ein unbestimmtes Lächeln gelegen, das von beiläufiger Amüsiertheit zu künden schien. Jack Dodge hatte ‘Hey’ gesagt und war auf den Vam- pir zugetreten – und plötzlich war ein Messer herangesaust und hatte Jacks Kopf vom Körper abgetrennt wie eine Blüte vom Stengel. Paul klangen noch die Geräusche in den Ohren: das Zerreißen von Jacks Haut, das Knacken seiner Knochen, dann das Zischen der aus dem Halsstumpf herausschießenden Blutfontäne.
Paul hörte diese Geräusche im Schlaf, im Heulen der Triebwerke, wenn er in einem Düsenjet durch die Nacht flog, im flüsternden Wind der altertümlichen Städte, in denen er arbeitete.
Die durch die Spalten und Winkel ihrer Welt huschenden Kreaturen zwangen ihn zu allergrößter Vorsicht. Sie spielten mit ihm eine Art Schach, tauchten hier und dort kurz auf und verschwanden wieder, nur um sich plötzlich ganz woanders zu zeigen.
Die Jagd auf sie hatte ihn gelehrt, wie klug sie waren. Sie waren ihm immer einen Schritt voraus. Seine einzigen Waffen waren das Überra- schungsmoment und die moderne Technologie. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher