Whitley Strieber
ist.«
Bocage sah Becky so durchdringend an, dass sie verlegen die Au- gen niederschlug. Paul war begeistert. Becky war das personifizierte Selbstbewusstsein, und sie wich nie einem Blick aus.
»Ich gehe davon aus, dass Sie gefunden haben, wonach Sie such- ten«, sagte Bocage zu ihr.
»Ja.«
Er ging zu seinem Schreibtisch. »Wir haben ein Computerprogramm verwendet, um Ihre Eingaben zu überwachen«, bemerkte er selbstzu- frieden. Es gab im Leben eines Geheimagenten kaum etwas Befriedi- genderes, als dem Kollegen eines befreundeten Staates eine Lektion erteilen zu können. Paul wusste es aus eigener Erfahrung; er hatte es oft getan. »Falls Sie eine Kopie Ihrer Ergebnisse haben möchten –« Er hielt Becky und Charlie eine Aktenmappe hin. »Im Interesse freundli-
cher Zusammenarbeit.«
»Es wäre noch viel freundlicher«, sagte Paul, »wenn Sie Informatio- nen mit uns teilten, die wir noch nicht haben.«
»Mit Vergnügen, Mr. Ward«, sagte er. Dann klappte er plötzlich den Mund zu, als hätte er sich gerade bei einer Indiskretion ertappt. Paul sah, dass sich hinter dem gewollt lockeren Auftreten des Man- nes ein Höchstmaß an emotionaler Anspannung verbarg. Aus seiner Erfahrung als Verhörspezialist im Krieg erkannte er, dass dieser Bo- cage im Begriff war, ihnen etwas zu verraten, das er noch keinem ver- raten hatte.
»Reden Sie weiter, Colonel«, sagte Charlie, der zweifellos dieselben Zeichen sah.
»Wir beobachten seit einiger Zeit eine dieser Kreaturen in einem Haus in der ...«
»Lassen Sie mich es sagen«, unterbrach ihn Becky. »13. Arrondisse- ment. Rue des Gobelins.«
»Sehr gut. Wissen Sie auch, welches Haus? Oder was sich dort im Einzelnen zugetragen hat?« Dem Colonel stand inzwischen kalter Schweiß auf der Stirn.
»Erzählen Sie es uns«, sagte Paul. Er glaubte zu erkennen, dass der Colonel dazu neigte, seine Untergebenen anzubrüllen, sich in dieser Situation jedoch bewusst zusammenriss.
»Seit über einem Jahr haben wir in einer alten Stadtvilla in der Rue des Gobelins une sauvage festgesetzt. Er hat seit zwölf Monaten kein Menschblut bekommen, ist aber noch immer am Leben.«
»Warum dringen Sie nicht einfach in diese Villa ein und bringen das Monster um?«
»Wir haben gehofft, es würde die Aufmerksamkeit seiner Artgenos- sen erregen – Neugier, Mitleid, irgendetwas, das sie anlocken würde. Aber nichts dergleichen geschah, und jetzt – jetzt ist es zu spät.« Etwas war schrecklich schief gegangen, was erklärte, weshalb der Colonel die Stimme so unheilvoll gesenkt hatte.
»Was ist das Problem, Colonel?«
»In diesen Augenblicken brennt das Haus bis auf die Grundmauern nieder. Drinnen befinden sich zwei uns bekannte Vampire.« Er machte erneut eine Pause und strich sich über die Wange, als würde er nach Bartstoppeln suchen. »Sechs meiner Leute sind in dem Haus.« »Möge Gott mit ihnen sein«, sagte Paul. Jetzt wusste er, warum die Karte vom 13. Arrondissement immer auf dem neuesten Stand war
und warum in der Kanalisation ständig gebaut wurde. Sie hatten den Geheimeingang in das Haus des Vampirs abgeschnitten. Paul hätte es genauso gemacht.
»Aber ich habe eine gute Nachricht für Sie. Einer der beiden Vampire in dem Haus war Ihre ‘Mrs. Tallman’.«
»Das ist eine verdammt gute Nachricht, Colonel!« Vielleicht hatte sie keine Zeit gehabt, ihre Warnung zu verbreiten. Vielleicht würde sie nun nie wieder Zeit dazu haben. »Haben Sie eine Ahnung, seit wann sie dort gewesen ist?«
»Sie tauchte gestern Nachmittag gegen sechs Uhr vor dem Haus auf.«
»Gestern Nachmittag?«
Er nickte. »Ein Taxi brachte sie von einem Hotel in die Rue de Go- belins.«
»Also hat sie vielleicht keinen der anderen Vampire kontaktiert.« »Hoffentlich nicht. Aber die übrigen Pariser Vampire wissen ohnehin, dass wir hinter ihnen her sind.«
Paul hätte angenommen, dass die Monster sich gegen ihre Verfolger wehren würden, wenn sie von ihnen wussten.
»Wir sind erst seit einigen Jahren in der Lage, mit ihnen fertig zu werden«, fuhr der Colonel fort. »Erst seitdem wir verstanden haben, was es mit ihrem Blut auf sich hat.«
»Wie töten Sie sie?«
»Wir machen sie mit einer eigens dafür konstruierten Waffe kampf- unfähig und äschern sie anschließend ein.«
»Vernünftige Methode.«
Er bleckte die Zähne und sog zischend die Luft ein. Ein harter Bur- sche, dieser Bocage, dachte Paul. Ich mag den Kerl.Der Colonel schob seinen Unterkiefer vor. »Wir haben im Laufe der Jahre unzäh-
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